Aktion "Out in Church"

"Gott hat mich mit meiner Sexualität geschaffen"

Die lesbische Krankenhausseelsorgerin Lisa Müller hat sich im Rahmen der Initiative "Out in Church" öffentlich geoutet.

Krankenhausseelsorgerin Lisa Müller © privat

Lisa Müller schaut entschlossen in die Kamera. Fast könnte man meinen, sie sei völlig entspannt, während sie die Worte spricht: „Ich heiße Lisa Müller, bin 36 Jahre alt, komme aus München, bin Seelsorgerin und bin lesbisch.“ – Fast, wäre da nicht ihr Brustkorb, der sich ein wenig zu schnell hebt und senkt und erahnen lässt, welch’ große Bedeutung diese Worte für die Katholikin haben. Bald schon werden Tausende Menschen sie im Rahmen der Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ auf ihren Bildschirmen sehen, unter ihnen womöglich auch solche, die Müller um ihren Beruf bringen können. Denn ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität ist bei Angestellten der katholischen Kirche nach wie vor nicht gern gesehen und führt unter Umständen sogar zu einer Kündigung.

"Da mache ich mit"

Doch Müller ist nicht allein mit ihrem mutigen Bekenntnis zu ihrer Sexualität. Sie ist Teil der Initiative „#OutInChurch“, einer Outing-Aktion 125 haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeitenden der deutschen katholischen Kirche, die unter anderem schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell sind. Wichtiger Teil der Bewegung ist die besagte ARD-Dokumentation, die Ende Januar ausgestrahlt wurde und noch immer in der ARD-Mediathek abrufbar ist. Als Müller im vergangenen Jahr eine E-Mail im Postfach entdeckte, in der sie erstmalig von der Outing-Aktion erfuhr, war für sie einerseits direkt klar: „Da mache ich mit!“ Sie wollte einstehen für eine Kirche ohne Angst. Denn die Angst war für die Krankenhausseelsorgerin in den vergangenen Jahren, wenn auch unterschwellig, eine stete Begleiterin. Auch wenn sie im privaten Umfeld bereits seit Längerem geoutet ist, erlebt sie im beruflichen Alltag immer wieder Situationen, die sie an ihre Grenzen bringen: „Wem erzähle ich, mit wem ich im Urlaub bin? Was antworte ich auf die Frage, mit wem ich zusammenlebe, die ja durchaus im Smalltalk aufkommt?“

Andererseits war es eben genau diese Angst, die sie zögern ließ, sich öffentlich zu outen: „Mir haben die arbeitsrechtlichen Konsequenzen Angst gemacht. Was ist, wenn irgendjemand aus irgendeinem Grund dem Bischof schreibt, und der muss reagieren?“ Reagieren, das würde im schlimmsten Fall bedeuten, dass Müller ihrer Berufung nicht mehr nachkommen dürfte: Seelsorgerin zu sein und Menschen die christliche Hoffnung zu verkünden. Wenn die 36-Jährige über ihren Glauben spricht, sprüht sie vor Begeisterung: „Ich finde es wunderschön, dass Gott die Menschen so liebt. Das ist es, wovon ich auch anderen erzählen möchte.“

Selbstbestimmte Entscheidung für Taufe

Ihren Eltern war es damals ein Anliegen, die kleine Lisa selbst bestimmen zu lassen, ob sie sich taufen lassen wollte. Die Entscheidung für die Taufe fällte diese bereits mit drei Jahren: „Ich wollte dazugehören, und meine Eltern haben mich in meinem Bedürfnis ernstgenommen.“ Prägend war für die gebürtige Ebersbergerin nicht zuletzt die gelebte christliche Nächstenliebe in ihrer Familie: „Meine Eltern betrieben eine Nachsorgeeinrichtung für Suchtkranke. Wenn da jemand rückfällig wurde und auf einen Therapieplatz gewartet hat, wurde durchaus auch mal unser Wohnhaus aufgemacht, um Menschen aufzunehmen.“ Im Zuhause ihrer Kindheit fanden Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen, einen Platz – eine Eigenschaft, die sich die Krankenhausseelsorgerin heute für ihre Kirche wünscht: „Jesus nimmt die Menschen, die am Rand stehen, hinein. Er ist für diejenigen da, die ihn suchen.“

Müllers Elternhaus beherbergte jedoch nicht nur Menschen unterschiedlicher Herkunft: Es war auch ein Mehrgenerationenhaus. Insbesondere der enge Kontakt mit ihrer Urgroßmutter, die mit 90 Jahren verstarb, beeindruckte sie: „Sie war eine sehr rege, gläubige, eine sehr einfache und unaufgeregte Frau. Sie ist ein Stück Vorbild für mich, gerade auch im Glauben.“

Von der Hoffnung erzählen

Mit dem Jugendalter brachte sich Lisa immer mehr in die örtliche Pfarrei in Grafing ein, leitete einen Treff für Kinder und Jugendliche sowie Firmgruppen. Nach der Mittleren Reife folgte das Fachabitur an der Romano-Guardini-Fachoberschule in München. Während andere junge Menschen in dieser Zeit erste Küsse, Annäherungen und Liebeskummer erlebten, spielte für Müller Sexualität damals keine Rolle. Für Männer empfand sie nie eine Anziehung, auch konnte sie sich nicht vorstellen, einmal eigene Kinder zu bekommen. „Aus jugendlicher Naivität sagte ich mir damals: Dann bin ich halt fürs Ordensleben berufen“, erinnert sie sich.

Nach dem Fachabitur beschloss sie, über den Freiwilligendienst der Jesuitenmission, „Jesuit Volunteers“ (JV) ein soziales Jahr bei der Bahnhofsmission in Hamburg zu absolvieren. „Ich habe gemerkt, wie sehr mich mein Glaube trägt. Und ich wollte auch von meiner Hoffnung erzählen. Ich habe gemerkt, dass meine Haltung sehr prägend für meine Arbeit dort war.“ Getragen und inspiriert von den intensiven Erfahrungen bei der Bahnhofsmission entschied Müller sich dazu, Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit in Eichstätt zu studieren.

Plötzlich verliebt

Mit 28 Jahren ändert sich auf einen Schlag alles: Müller verliebt sich in eine Frau – „und sie sich auch in mich“. Plötzlich fällt es ihr wie Schuppen von den Augen: „Ich bin lesbisch.“ Und auf einmal ergibt alles Sinn: dass sie früher schon diejenigen Männer am ehesten ansprechend fand, die besonders feminine Gesichtszüge oder zarte Hände hatten; oder, dass es immer wieder Frauen gab, die sie anziehend fand, ohne das Gefühl zuordnen zu können. „Dann war plötzlich klar: Ich möchte eigentlich Beziehung leben. Damit war auch klar, dass das Ordensleben für mich nichts ist.“

Relativ schnell weiht Müller Freunde und Familie in ihre Erkenntnis ein. Für ihre Eltern sei das keine große Sache gewesen, erinnert sie sich: „Meine Mutter wunderte sich nur, dass ich da nicht schon viel früher draufgekommen bin!“ Leben und leben lassen – das sei schon immer das Motto ihrer Familie gewesen, erklärt Müller lächelnd. „Bei uns daheim wurde Homosexualität nie als etwas Ungutes definiert, oder etwas, das man nicht darf.“

Verletzende Erfahrungen

Die Seelsorgerin weiß, dass die tolerante Einstellung ihrer Familie keineswegs selbstverständlich ist. In ihrer beruflichen Laufbahn hat sie Fälle erlebt, in denen Eltern an der Homosexualität ihrer Kinder verzweifelten. Auch privat musste sie die verletzende Erfahrung machen, dass die Mutter einer Partnerin ihr sagte: „Ihr werdet schon sehen, ihr werdet in der Hölle landen.“ Doch während Müller von Erfahrungen wie dieser berichtet, ist es nicht die Wut, die in ihr vorherrscht. Vielmehr empfindet sie Empathie den Elternteilen gegenüber: „Die Kirche macht es mit ihrer Lehre nicht nur den Betroffenen schwer, sondern auch den Eltern. Und bringt sie in eine Bredouille. Sie wissen ja auch nicht, was richtig ist.“

Die Katholikin hatte selbst nie Gewissensbisse ihre Sexualität betreffend: „Ich fühle mich als geliebte Tochter Gottes. Ich bin von Gott geschaffen. Und Gott hat mich mit meiner Sexualität geschaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott einen Fehler macht.“ Wütend wird Müller, wenn Menschen behaupten, sie hätte sich ihre Sexualität selbst ausgesucht: „Ich hätte das Leben so viel leichter leben können. Es ist einfach nichts, was ich mir ausgesucht habe. Etwas, was mir gegeben, ich möchte fast sagen, geschenkt worden ist. Mit diesem Geschenk habe ich leben lernen müssen. Und mittlerweile ist es etwas Wunderbares.“ Zentral für den tiefen Glauben der Krankenhausseelsorgerin ist die Erkenntnis, dass Gott ihr ein Gegenüber ist: „Dass ich ihn immer nur beschreiben, ihn aber nicht festnageln kann. Dass er in der Beziehung steckt, im Hier und Jetzt. Dass er Mensch geworden ist und darin mit uns Menschen solidarisch ist. Und das heißt auch, im Leid, ja, im Tod solidarisch ist bis hin in die Auferstehung.“

"Frag nicht, erzähl es nicht"

Im kirchlichen Umfeld muss Müller immer wieder eine sogenannte „Don’t ask, don’t tell“-Mentalität erleben – „frag nicht, erzähl es nicht“. Wer also nicht über seine Sexualität spreche, bekomme auch kein Problem. Es seien ja alle Menschen zum Gottesdienst eingeladen, heiße es immer wieder. Doch kann man in einer Gemeinschaft Erfüllung und Halt finden, die einen nur dann akzeptiert, wenn man die eigene Identität in einem entscheidenden Bereich verleugnet? „Es geht mir nicht darum, rumzulaufen und ,Lesbe‘ auf der Stirn geschrieben zu haben“, betont Müller. Wertgeschätzt würde sie sich dann fühlen, wenn ihre Sexualität kein Geheimnis mehr sein müsste und ohne viel Aufsehen akzeptiert würde. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg – einer, den Müller aktiv mitgestalten möchte. „Jede und jeder Einzelne von uns kann etwas dazu beitragen. Ich gestalte meine Kirche mit, mit dem, was ich tue oder lasse. Ich wünsche mir eine Kirche, die für die Menschen da ist und sich am Auftrag Jesu orientiert.“

Kritische Stimmen werden fragen: Hat es dieses öffentliche Outing wirklich gebraucht? Für Müller ist die Antwort klar: „Ja. Weil ich mir eine gleichberechtigte Kirche ohne Angst wünsche.“ Ein Kirchenaustritt kommt für die gläubige Frau momentan nicht in Frage. Doch warum eigentlich nicht? „Weil ich katholisch bin. Weil ich mich in dieser Kirche beheimatet fühle.“ Einfacher wäre es für homosexuelle Menschen wohl häufig, auszutreten. Lisa Müller kann heute jedoch mit fester Stimme sagen: „Nein. Dazu bin ich nicht bereit.“ (Katharina Zöpfl)

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