Bibel-Leseschule

Warum spürte Israel Gottes Zorn?

Ein wütender, strafender Gott passt so gar nicht in ein modernes Gottesbild. Und doch wird er genauso in den Klageliedern der Bibel dargestellt. Wie lässt sich dieser Zorn Gottes heute interpretieren?

Wie können die Klagelieder in der Bibel heute interpretiert werden? © vadiml - stock.adobe.com

„Weh, mit seinem Zorn umwölkt der Herr die Tochter Zion! Er schleuderte vom Himmel zur Erde die Pracht Israels. Nicht dachte er an den Schemel seiner Füße am Tag seines Zornes. Schonungslos hat der Herr vernichtet alle Fluren Jakobs, niedergerissen in seinem Grimm die Bollwerke der Tochter Juda, zu Boden gestreckt, entweiht das Königtum und seine Fürsten.“ – So beginnt das zweite Klagelied. Was war da geschehen, dass Israel den Zorn Gottes so spürte?

Eine Katastrophe ist eingetreten

Die absolute Katastrophe war eingetreten. Trotz der wiederholten Warnungen Jeremias und anderer Propheten hatte der König Israels das Bündnis mit dem babylonischen Reich aufgekündigt und die Tributzahlungen eingestellt. Die Folge war ein verheerender Kriegszug, die Zerstörung Jerusalems, die Schleifung des Tempels und die Wegführung der gesamten Oberschicht ins Exil nach Babylon.

Alles, was das Volk Israel ausgemacht hat, war damit in Frage gestellt: Die religiöse Mitte war zerstört, Opfer nicht mehr möglich. Es gab keinen König mehr und würde auch keinen mehr geben. Die Heimat, das gelobte Land, war verloren. Das hätte leicht das Ende sein können, das Ende Israels und des Glaubens an Jahwe.

Fehler des eigenen Volks

Aus unserer Perspektive ist es nicht leicht, diesen absoluten Tiefpunkt mitzufühlen. Interessant dabei ist, dass die Dichter der Klagelieder diese Geschehnisse nicht auf irgendwelche Feinde und deren Böswilligkeit abschieben. Sie wissen sehr genau, dass es die Fehler ihres eigenen Volks waren, die diese Katastrophe ausgelöst haben. Und sie deuten das als Zorn Gottes aufgrund dieser Fehler, die einem Abfall vom Weg Gottes gleichkamen.

Wir Christen von heute können dieses Bewusstsein nur schwer nachvollziehen. Ein Gott, der zürnt, zerstört, niederreißt, entweiht? Das ist nicht unser Gottesbild. Aber das Volk Israel führte alles, was geschah, auf den Willen Gottes zurück, nicht nur das Gute. Und so mussten all das Elend und die schreckliche Zerstörung wohl auch das Werk Gottes sein. Und das bedeutete für sie, dass sie auf irgendeine Weise die Gnade und Zuwendung Gottes verspielt hatten.

Tiefe Krise wird zur Chance des Glaubens

In den Klageliedern hören wir Schuldbewusstsein, Trauer, Verzweiflung und immer wieder auch die Frage „Warum?“ „Weh uns, wir haben gesündigt!“, beten diese Lieder, „Darum ist krank unser Herz, darum sind trüb unsere Augen über den Zionsberg, der verwüstet liegt; Füchse laufen dort umher. … Warum willst du uns für immer vergessen, uns verlassen fürs ganze Leben? Lass du, HERR, uns zurückkehren zu dir, dann kehren wir um!“

Das Buch der Klagelieder


Die Klagelieder entstanden, wohl ziemlich bald nach der Wegführung des Volks Israels, genauer seiner gesamten Führungsschicht (Gelehrte, Adlige, Reiche), in die Verbannung nach Babylon (586 vor Christus). Später dürften noch einige Ergänzungen vorgenommen worden sein. Die Lieder spiegeln dichterisch diese schwere Zeit des Volks Israel wider, reflektieren die Zerstörung Jerusalems und bringen Angst und Trauer Israels ins Wort. Die Autoren sind unbekannt. Zugeschrieben wurden sie dem Propheten Jeremia, der den Untergang Jerusalems angekündigt hatte und miterleben musste. Allerdings sind diese Lieder wohl im Exil entstanden und somit nicht aus der Feder Jeremias, der nach der Zerstörung in Jerusalem zurückblieb und dessen Spur sich später in Ägypten verliert. (sd)

Erstaunlich, dass sie dabei ihren Gott nie loslassen, nie sich abwenden und sagen: Du hast uns nicht geholfen, wir wenden uns nun an andere Götter. Und so lassen die Klagelieder schon ahnen, was die ganze Exilszeit prägen wird: Israel hält umso fester an Jahwe fest. Die Zeit des Exils wird zur Zeit der Vergewisserung des Glaubens, zu einer theologisch und literarisch unglaublich fruchtbaren Zeit. Einer Zeit, in der Israel entdeckt, dass ihr Gott nicht einer von vielen, sondern der einzige ist, dass er in und durch alle Völker wirkt, dass er der Schöpfer aller Dinge ist. Es gelingt, das Scheitern, die Verzweiflung und Klage in die Geschichte des Glaubens einzubinden. Damit wird sich die tiefe Krise zur Chance des Glaubens wenden und zu einem Neuanfang.

Klagelieder auch auf andere Zerstörungserfahrungen lesbar

Doch das ist beim Dichten der Klagelieder noch in weiter Ferne. Der dichterische Ausdruck der Verzweiflung angesichts der Zerstörung der Stadt Jerusalem wird zu einer poetischen Folie, auf der auch spätere Zerstörungserfahrungen gelesen werden konnten. Sehr eindrücklich ist zum Beispiel die Vertonung der Klagelieder durch Rudolf Mauersberger angesichts der Bombardierung Dresdens: „Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war!“ lässt er den Chor singen. Sehnsüchtig erklingt es „Bringe uns, Herr, wieder zu dir, dass wir wieder heimkommen!“ Das Chorstück endet mit einem Aufschrei, der die Stimmung der Klagelieder gut zusammenfasst: „Ach Herr, siehe an mein Elend!“ (Susanne Deininger, Pastoralreferentin im Pfarrverband Dachau-St. Jakob und theologische Mitarbeiterin im Dachauer Forum.)

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