Der Brief offenbart ein grundsätzliches Problem der frühen Christen. Viele Menschen werden Christen, die zuvor an die heidnischen Götter glaubten. Auch nach ihrer Taufe leben sie weiter in der heidnischen Welt und Gesellschaft. Das führt zu Problemen. In Korinth beispielsweise fragen sich die Christen, ob sie weiterhin – wie alle anderen Bewohner der Stadt – das kostengünstige Fleisch kaufen dürfen, das vom heidnischen Opfer in den Tempeln übrig blieb. Ist es mit dem neuen Glauben, mit der neuen Identität als Christ vereinbar, vom Tempelopfer zu profitieren (vgl. 1 Kor 8)? Welches neue Verhalten fordert der neue Glaube?
Kann ein Christ Sklaven halten?
Das wird auch im Philemonbrief konkret: Kann ein Christ noch Sklaven halten? Mehr noch: Kann ein Christ einen christlichen Sklaven haben? Man stelle sich vor, der Sklave muss eine ganze Woche lang für seinen Herrn arbeiten – am Sonntag feiern sie dann gemeinsam als Brüder Eucharistie, versammeln sich zum Mahl um den gleichen Tisch. Das hat mit christlicher Identität wenig zu tun.
Paulus argumentiert in seinem Brief an Philemon anders. Er betont zwar, als Apostel Autorität zu haben, will sich darauf aber nicht berufen: „Obwohl ich durch Christus volle Freiheit habe, dir zu befehlen, was du tun sollst, ziehe ich es um der Liebe willen vor, dich zu bitten.“ (Phlm 8–9) Ein geschickter Schachzug: Indem er sich gerade nicht auf seine Vollmacht beruft, erinnert er Philemon doch daran, wer hier als Apostel spricht. Paulus bittet Philemon darum, seinem Sklaven Onesimus zu vergeben (vgl. Phlm 17ff).
Glaube an Jesus erfordert Veränderungen
Ein zwiespältiger Brief: Der Apostel bezieht gerade nicht Stellung gegen die Sklaverei als solche. Er fordert von Philemon, seinen Sklaven wieder aufzunehmen, nicht aber, diesen und alle anderen Knechte in seinem Haus freizulassen. Gleichzeitig erinnert er daran, dass Onesimus – sein Name bedeutet „der Nützliche“ – nicht mehr nur Sklave für seinen Herrn Philemon ist, sondern als Christ auch „geliebter Bruder“ (Phlm 16).
Der Philemonbrief zeugt daher von einem Ringen der frühen Christen: Mitten in einer unchristlichen Welt mussten sie erst langsam zur Erkenntnis dessen kommen, was mit dem neuen, christlichen Glauben vereinbar war und was nicht. In jedem Fall zeigt der Brief: Es kann nicht nur beim Bekenntnis zu Jesus bleiben. Der Glaube an Jesus erfordert auch Veränderungen. (Benedikt Bögle, katholischer Theologe und Jurist, Rechtsreferendar und freier Journalist)