Schwebezustand auf dem Domberg

Modernes Kunstwerk mit spiritueller Kraft im Freisinger Diözesanmuseum

Der amerikanische Künstler James Turrell hat für das neueröffnete Diözesanmuseum eine Installation erschaffen, die die Sinneswahrnehmung der Besucher verändert. Die ehemalige Kapelle wird zum grenzenlosen Lichtraum.

Der Künstler James Turrell hat sich vom Mystiker Meister Eckhart inspirieren lassen. © ©James Turrell, Foto: Florian Holzherr

Winter, das ist Lichthungerzeit. Wie überall, wird es ab Dezember auch in Freising bereits am Nachmittag finster. Im Diözesanmuseum oben auf dem Domberg brennt schon Licht. Allein das tut an diesem regennassen Tag gut. Außerdem ist es ein gutes Ziel für eine Erfahrung, im wahrsten Wortsinn für eine Erleuchtung, die sonst nur wenige Museen zu bieten haben: Seit seiner Wiedereröffnung besitzt das grundlegend umgestaltete Haus ein Kunstwerk von James Turrell. Einen Titel trägt es nicht. Das würde auch nicht passen, weil es nichts illustrieren oder erzählen will, es ist kein Gemälde und keine Skulptur. Am ehesten eine Installation, die in einem genau ausgeklügelten Raum mit farbigem Licht, dem Sehsinn und dem Körper des Betrachters arbeitet.

Neues Leben für alte Kapelle

Ganzfeld nennt James Turrell diese von ihm entwickelten Kunstwerke, die auf die Netzhaut und von dort unter die Haut gehen. Der amerikanische Künstler benutzt tatsächlich dieses deutsche Wort für seine Arbeiten, in denen der Betrachter die Tiefenwahrnehmung verliert und den Eindruck gewinnt, sich im Grenzenlosen zu bewegen. In Freising hat er seinen neuesten Ganzfeldraum in einer ehemaligen Kapelle unterbringen können.

Das Museum war lange Zeit ein Knabenseminar mit Internat. In diese Kapelle haben kleine Buben ihr Heimweh getragen, Trost nach schlechten Noten gefunden, fast erwachsene junge Männer darum gerungen, ob sie Priester werden sollen. Es ist ein besonderer, „durchgebeteter“ Raum, auch wenn er schon seit Jahrzehnten keine Gottesdienste mehr gesehen hat. Durch James Turrell ist er  wieder zu einem spirituellen Ort geworden, zu einer Kapelle für das 21. Jahrhundert. Schon am Eingang des Museums ist das zu spüren. Die wechselnden Licht- und Farbstimmungen sind von dort aus zu sehen, zwingen den Blick auf sich. Gerade strahlt ein zartes Blau aus der Kapelle, später wird es sich in einen kräftigen Rotton verwandeln.

Veränderte Sinneswahrnehmung birgt Stolperrisiko

Fast jeder eintretende Besucher steuert wie magnetisch angezogen auf diese ovale Lichtfläche zu und steigt die ersten Stufen zu der etwas erhöht liegen Kapelle hinauf. Eine Kordel sperrt den Zugang in den Innenraum ab. Wer hinein will, kann das nur zu bestimmten Zeiten. Christoph Schalasky händigt ein paar weiße Gamaschen aus, die jeder Gast über seine Schuhe ziehen muss, um Verschmutzungen des Ganzfeldes zu vermeiden. Außerdem muss der Haustechniker die Besucher einweisen. „Für das Museumspersonal ist das ein sehr arbeitsintensiver Raum“, sagt er.

Hinter der Kordel befindet sich eine weitere kleine Treppe, die schon im künstlichen Licht der Kapelle liegt. Schalasky macht darauf aufmerksam, dass die Treppe nicht mit Geländern gesichert ist und links und rechts davon Hohlräume liegen, in die der Besucher hineinstürzen kann, wenn er nicht aufpasst. Besonders beim Verlassen des Raumes, der eine veränderte Sinneswahrnehmung hervorruft. „Wenn die Leute gut zuhören und sich an die Anweisungen halten, passiert nichts.“  Aber nicht alle sind geduldig, wollen sich nur schnell umschauen und kommen dann ins Stolpern. Schalasky oder einer seiner Kollegen ist immer dabei, damit niemand stürzt oder sie bieten ihren Arm zum Festhalten an.

Räumliche Grenzen lösen sich auf

James Turrell erzwingt bereits beim Betreten der ehemaligen Kapelle Konzentration und Achtsamkeit, widersetzt sich der Flüchtigkeit mit der sonst Museumsbesucher Kunstwerke kurz anschauen, gleich wieder vergessen und schon gar nicht erleben. Er zielt eine über die Sinne vermittelte spirituelle Erfahrung an, und die ist nicht ohne Anstrengung zu haben. Die fünf auf zwölf Meter große Kapelle ist ganz in Weiß gehalten. Von einer kreisförmigen Vertiefung mit etwa einem Meter Durchmesser gehen sich langsam verwandelnde farbige Lichtimpulse aus. Der elliptische Rundbogen am Eingang ist von kraftvoll leuchtenden Neonröhren eingefasst.  Auf einer schmalen Bank kann sich der Besucher niederlassen.

Nach wenigen Minuten tritt der Effekt ein, der einem den Begriff Ganzfeld regelrecht vor Augen führt. Raumkanten und Mauern, räumliche Begrenzungen scheinen sich aufzulösen. Wer aufsteht, gewinnt das Gefühl zu schweben, auf einer rosa Wolke, oder einer blauen, oder einer grünen. Der Künstler spielt mit optischen und wahrnehmungspsychologischen Gesetzen. Der aus einer strenggläubigen Quäkerfamilie stammende Turrell lässt aber immer eine spirituelle Botschaft mitschwingen: die Begegnung mit dem Licht verwandelt, es löst oder erlöst von Raum und Zeit. Unterhalten sich Besucher vor der ehemaligen Kapelle, klingen ihre Stimmen entfernter als sie es tatsächlich sind. Wer sich dem Ganzfeld aussetzt, sich dort innerlich fallen lässt, schaut nach einer halben Stunde irritiert auf die Uhr, denn es scheinen nur wenige Minuten vergangen zu sein.

Andachts- und Gottesbild aus der Gegenwart

James Turrell will den Betrachter das Unendliche schmecken lassen, das Unsichtbare sichtbar machen. Oft bezieht er sich auf den Mystiker Meister Eckhart, der Erfahrungen beschreibt, in denen er beglückt spürt, wie außen und innen verschmelzen und er Gott nahekommt. Oft beschreibt er ihn als unbegrenztes Licht, in das der Schöpfer sein begrenztes Geschöpf hineinnimmt. Von dieser Sehnsucht erzählen fast alle Kunstwerke im Freisinger Diözesanmuseum: wie Menschen in einer endlichen Welt eine Überwelt ahnen, sie darstellen und sich damit aneignen wollen.

Direkt gegenüber vom Werk Turrells haben die Kuratoren in einer Blickachse das sogenannte Lukasbild aufgestellt. Es ist eine einzigartige Marienikone aus Byzanz, die mit ihrem Goldgrund verkündet, wie durch die Muttergottes mit Christus das Licht in die Welt gekommen ist. Ein über 1000 Jahre altes Andachtsbild, dem Turrell mit einem Andachts- und Gottesbild aus der Gegenwart antwortet. Es ist ungegenständlich und nutzt die technischen Möglichkeiten, die einem Künstler von heute zur Verfügung stehen, denn ohne moderne und spezielle Leuchtmittel bliebe es in der Freisinger Kapelle dunkel. Und die Besucher wären nicht nur um ein Kunstwerk, sondern auch um eine ungewöhnliche geistliche Erfahrung ärmer. Als das Diözesanmuseum zusperrt, ist es schon ganz finster. Das Licht des Ganzfeldes leuchtet durch die Glastür noch ein paar Minuten nach draußen. Der Besucher darf es mitnehmen.

Das Diözesanmuseum ist dienstags bis sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Die Installation von James Turrel ist in dieser Zeit immer von 11.00 bis 12.00 Uhr und von 14.00 bis 15.00 Uhr begehbar. Am 24., 25. und 31. 12. ist das Haus geschlossen, am 26.12. und am 01.01. geöffnet.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de

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