Meinung
Kommentar zum Missbrauchsskandal

Kirche: Zeit der Besinnung und Klärung auch für Basis

Wegschauen, nicht hinterfragen - das geschah im Zusammenhang mit Missbrauch in der Kirche nicht nur auf höchster Ebene. Auch jeder Gläubige muss sich nun mit seiner Rolle im System auseinandersetzen. Ein Kommentar von MK-Redakteur Joachim Burghardt.

Alle Gläubigen seien zur Besinnung aufgerufen. © Gabriel - stock.adobe.com

Es hat viele Jahre gedauert, bis die kirchlichen Amtsträger dem Elefanten im Raum, der durch sexuellen Missbrauch herangezüchtet worden war, in die Augen sehen konnten. Und während sie noch damit zu kämpfen haben, diesem Blick standzuhalten, klingeln ihnen bereits die Ohren von weiteren nicht mehr überhörbaren Fragen – etwa nach Sexualmoral, priesterlicher Lebensform und der Gleichberechtigung der Frauen.

Aber es würde zu kurz greifen, die derzeitige Kirchenkrise ausschließlich als eine Krise der Bischöfe und Generalvikare zu interpretieren. Es wird nicht genügen, aus dem bequemen Zuschauerraum der mehr oder weniger engen Kirchenverbundenheit heraus nach einer Erneuerung zu rufen, die sich in ein paar schnellen personellen Änderungen auf oberster Etage und einigen Strukturreformen erschöpft. Denn wir alle stehen als Akteure selbst in der Arena.

Unantastbarkeit von Klerikern

Die Frage mag unangenehm sein, aber hätte es den Klerikalismus ohne Laien gegeben, die dieses Spiel mitspielten? Trug nicht auch die unkritische, teils heiligenartige Verehrung vonseiten nicht weniger Gläubigen ihren Teil dazu bei, dass so mancher Bischof und Priester noch bis ins 21. Jahrhundert derart unangreifbar und unhinterfragt agieren (oder unterlassen) konnte? Das hat natürlich nicht immer gleich mit Missbrauch zu tun, sondern beginnt schon beim allsonntäglichen Reflex, sich bei der Kommunionausteilung lieber in der Schlange vor dem Priester einzureihen, als zu einer ungeweihten Kommunionhelferin zu gehen, um irgendwie besonders viel Segen abzubekommen – und geht weiter bei der Überhöhung des Bischofs von Rom zu einem Halbgott in Weiß.

Häufen sich nicht derzeit die Berichte, wonach viele schon immer wussten, dass mit diesem oder jenen Priester „etwas nicht stimmte“, aber nichts dagegen unternahmen? Und lesen wir nun nicht auch, dass Missbrauchsopfer als Kinder gar keine Chance gehabt hätten, mit der Wahrheit herauszukommen, weil ihnen nicht einmal ihre eigenen Eltern geglaubt hätten? Weil einfach nicht sein konnte, was nicht sein durfte – dass Hochwürden während der Messe noch Stellvertreter Christi war, abends aber seine pädophile Neigung an einem wehrlosen Kind auslebte? Eltern wie diese fühlten sich und galten als „gute Katholiken“, aber auch sie waren Teil eines vertuschenden, klerikalen Systems.

Die eigene Rolle in der Kirche

Im Zuge der Aufarbeitung von Missbrauch wird also nicht nur von Klerikern die Rede sein müssen, sondern auch von den vielen stillen Wegschauern, die in heiliger Selbstergriffenheit Ja und Amen oder einfach gar nichts gesagt haben. Es wird spannend sein, in nächster Zeit mitzuverfolgen, inwieweit der selbstkritische Reinigungsprozess auch die katholische Basis erfasst.

Für viele steht die Kirche nun in einem anderen Licht da; der nicht nur juristische und moralische, sondern auch individuell-biografische Klärungsbedarf ist immens. Jetzt gilt es, die eigene Rolle in einer Kirche neu zu bestimmen, die als heilig bekannt wird, von so vielen aber als unheilvoll erfahren wurde. Dafür braucht es außer personellen und strukturellen Konsequenzen von oben her auch eine spirituelle Rosskur in der ganzen Breite, der sich jeder und jede Einzelne unterzieht.

Mit christlichen Grundlagen zu neuem Aufbruch

Manch ein Leisetreter wird nun vielleicht mit anderen Augen auf Menschen im persönlichen Umfeld schauen, die schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten sind und die er dafür in unerschütterlicher Selbstgewissheit belächelt hat. Wenn es aber klappen soll mit der Erneuerung der Kirche, ist heute wie damals fraglich, ob ein Austritt wirklich hilft. Ebensowenig kann es mit einem unbeteiligten „Geht mich nichts an“ oder grimmigen Durchhalteparolen in Wagenburgmentalität weitergehen.

Besser wäre eine selbstkritische Rückbesinnung auf die christlichen Grundlagen und viel Neugier, Mut, ja Risikofreudigkeit zu einem neuen Aufbruch. Vielleicht wird man ein paar religiöse Sandsäcke abwerfen und in einer Zeit der Besinnung und Klärung erst einmal mit leichterem Marschgepäck unterwegs sein müssen. Wie heißt es doch beim Propheten Micha in bestechender Klarheit und Einfachheit? „Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit deinem Gott.“ (Mi 6,8)
(Joachim Burghardt, MK-Redakteur)

Der Redakteur
Joachim Burghardt
Münchner Kirchenzeitung
j.burghardt@michaelsbund.de

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