München – Immer war seine Mutter traurig, erinnert sich Gradito Alloggia. Sie hatte bereits drei Kinder und war mit ihm im siebten Monat schwanger, als eine deutsche Wehrmachtseinheit 1944 seinen Vater im italienischen Filetto di Camarda erschoss. Eines von 17 willkürlich ausgewählten Opfern als Vergeltung für einen Partisanenüberfall. Kardinal Reinhard Marx sitzt ihm gegenüber und hört dem 78-jährigen aufmerksam zu.
Aus Hass wird Mitleid
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass der spätere Münchner Weihbischof Matthias Defregger den Befehl für dieses Kriegsverbrechen ausführte. Die Gerichte stellten die Verfahren gegen den Geistlichen ein, der sich auf einen Befehlsnotstand berief. Gradito Alloggia erzählt, wie sich in seiner Kindheit sein Hass allmählich in Mitleid darüber verwandelte, „dass der Krieg die Menschen auf allen Seiten zerstört“. Es sei für ihn eine große Freude, dass Kardinal Marx ihn und eine Abordnung aus Filetto an diesem Sonntagabend im Juli empfängt.
Freundschaft mit Gemeinde Pöcking
Vorbereitet hat diese Begegnung die Gemeinde Pöcking, die nach historischen Recherchen, den Weihbischof-Defregger-Weg im Ort in Filettoweg umbenannt hat. Die Delegation aus dem Abruzzendorf ist zum Gegenbesuch in Pöcking. Seit gut einem Jahr pflegt die Gemeinde am Starnberger See einen engen Austausch mit Filetto, „aus der Versöhnung und sogar Freundschaft entstanden ist“, wie Alloggia erklärt. Nach vielen Jahrzehnten der Sprachlosigkeit, nur unterbrochen von der Aufmerksamkeit der Medien Ende der 1960er Jahre, während der Gerichtsverfahren gegen Weihbischof Defregger. Eine Abordnung aus dem Erzbistum München und Freising überbrachte damals eine größere Geldspende, die heute zwiespältig anmutet, weil sie als versuchte Zeugenbeeinflussung gedeutet werden kann. Danach interessierte sich niemand mehr für Filetto.
"Unzulängliche" Reaktion
An diesem Abend bittet Kardinal Marx die Gäste um Verzeihung für den Umgang mit dem Kriegsverbrechen. Bei Weihbischof Defregger fragt sich der Kardinal, ob dieser „die Opfer nicht stärker in den Blick nehmen, von einem Kriegsverbrechen hätte sprechen müssen, das ist so nicht erfolgt“. Auch das Erzbistum und der damalige Erzbischof Kardinal Julius Döpfner hätten „unzulänglich“ reagiert. Umso mehr würdigt der Kardinal, dass die Gemeinde Pöcking mit der Umbenennung des Weges in ihrem Ort ein Zeichen setzt, die Begegnung mit Filetto sucht und sich der Vergangenheit stellt.
"Nur Frieden bringt uns voran"
2024 jährt sich das Massaker in dem Abruzzendorf zum 80. Mal. Ein wichtiges Datum, auch für die jungen Menschen dort. Die 16-jährige Valentina Marcocci aus Filetto liest beim Empfang durch den Münchner Kardinal ein kurzes Statement vor: „Krieg ist eine überflüssige Sache, die nur Hass erzeugt“, sagt sie mit fester Stimme. „Ich hoffe, dass Gott uns hilft, Kriege zu überwinden, nur Frieden bringt uns voran.“ Gradito Alloggia nickt nachdenklich und schaut dann lächelnd zu dem Mädchen hinüber.
