„Kann ich auf der Switch Nintendo spielen?“, ruft mein neunjähriger Sohn. „Wo sind meine Fußballschuhe?“, schreit der Elfjährige, und mein Sechsjähriger hat Hunger und schleicht in der Küche um den Tisch herum. Es ist halb sechs Uhr abends an einem normalen Wochentag bei mir zu Hause. Diese Zeit kurz vor dem Abendessen ist die „unheiligste“ Zeit bei uns in der Familie und eine der größeren Herausforderungen im Familienalltag; alle haben Hunger und jeder ist erschöpft vom Tag, während das Essen schnell auf den Tisch gebracht werden soll.
Diese Erfahrung, dass Familienleben ein herausforderndes Miteinander ist, teilen viele Familien. Der Alltag bringt Eltern an ihre Grenzen. Das unaufgeräumte Kinderzimmer oder der Sportbeutel mitten im Wohnzimmer kann zur Herausforderung werden. Die knallenden Türen zwischen den Geschwistern gehören fast schon zur Normalität, und wenn die Teenager das Handy beim Essen nicht aus der Hand legen, kann es zu Konfliktsituationen kommen.
Heilige Familie als kitschige Idealvorstellung
In den Medien dagegen finden wir oft Werbebilder von fröhlichen Eltern und zufriedenen Kindern. Alle sind hübsch angezogen und wissen, was sich gehört. Diese Bilder von der heilen Familienwelt bedienen das Klischee der konfliktfreien Familie und täuschen darüber hinweg, dass Familienleben mehr ist als eine glückliche Momentaufnahme.
Die Sehnsucht nach einer heilen Familie teilen wir alle. Daher ist es verlockend, sich Jesus gemeinsam mit Maria und Josef als glückliches Familienporträt vorzustellen. Die Kunst hat dieses Bildmotiv aufgegriffen und in manchen Jahrhunderten verkitscht dargestellt. Ist also die „Heilige Familie“ eine Familie, die alles richtig macht und der das liebevolle Miteinander mühelos gelingt?
„Vergiss, was du über sie gehört hast“, schreibt der Priester und Dichter Wilhelm Bruners in seiner Meditation zur Heiligen Familie, „denn sie war eine ganz und gar normale Familie. Wenn du etwas über sie wissen willst, informiere dich nicht bei denen, die nicht zulassen, dass es eine ganz und gar normale Familie war.“
Bibel zeugt von bewegtem Familienleben
Die Vorstellung, dass die Familie Jesu eine ganz normale Familie war, mit Streit beim Abendessen, mit Kindern, die nicht ins Bett gehen wollen, und mit überforderten Eltern, fällt schwer. Und doch lassen sich in der Bibel Nuancen entdecken, die ein bewegtes Familienleben hinter dem Heiligenschein erahnen lassen. Da wäre zum einen der Vater Josef, der, nachdem er erfahren hat, dass er nicht der leibliche Vater des Kindes ist, sich doch für Maria und das Neugeborene entscheidet. Das Matthäusevangelium berichtet von der Flucht nach Ägypten und der Angst, verfolgt zu werden. Bekannt ist auch, dass Josef mit seiner Familie in Nazareth lebt und seinen Lebensunterhalt als Handwerker verdient. Die Mutter Maria ist bei ihrem ersten Kind Jesus noch sehr jung. Sie bekommt weitere Kinder, die Bibel berichtet von Geschwistern.