Singen auf Abstand

Wie die Corona-Pandemie das Chorleben veränderte

Abgesagte Konzerte, digitale Proben, fehlende Gemeinschaft - die Folgen der Pandemie für Kirchenchöre waren vielfältig. Nach einem Mitgliederschwund, hofft man jetzt wieder auf Wachstum.

Der Kirchenchor von St. Martin in München-Moosach bei einem Konzert vor der Corona-Zeit. © privat

Ein kalter Montagabend. 40 Sängerinnen und Sänger zwischen 17 und 81 Jahren strömen zur Chorprobe in die Pfarrkirche St. Martin im Münchner Stadtteil Moosach. Teilnehmen dürfen nur Geimpfte und Genesene mit tagesaktuellem Test.

Gertraud Plößl kam bereits mit zehn Jahren zum Chor und singt 69 Jahre später immer noch begeistert mit: „Mein Leben war und ist Singen. Ich war am musischen Gymnasium und später im Kinderrundfunkchor. So lange es irgendwie geht, möchte ich im Chor bleiben.“ Selbstkritisch merkt sie an, dass die probenfreie Zeit sich auf ihre Stimme ausgewirkt habe: „Zu Hause übt man dann doch nicht so sehr wie im Chor.“

Digitale Chorproben

Ähnlicher Ansicht ist auch Chorleiter Bernhard Hofmann (59). „Die Auswirkungen der Pandemie waren seit März 2020 spürbar“, erzählt er. Plötzlich durfte man sich nicht mehr zur Probe treffen, auch Auftritte mussten abgesagt werden. Erst hoffte Hofmann, die Pause sei nur vorübergehend und man könne sich bald wieder treffen. In dieser Zeit verschickte er Noten und Tutorials per E-Mail, um den Chorgeist am Leben zu erhalten.

Mit der Zeit organisierte er dann digitale Proben: „Das war wichtig, um Kontakt halten zu können, auch wenn es da nicht um die Qualität des Gesangs ging“, erinnert sich der Kirchenmusiker, der den Chor in St. Martin seit zehn Jahren leitet. Für die älteren Mitglieder, die nicht mit den digitalen Medien vertraut sind, war das keine einfache Zeit. Hofmann und die anderen Sänger hielten zumindest übers Telefon mit ihnen Kontakt. Trotzdem habe das die Chorgemeinschaft schwer getroffen.

Chor auf Abstand

Hofmann sitzt an diesem Abend – anders als sonst – nicht an der Orgel. Mit einem Cembalo hat er sich vor dem Altar platziert, vor ihm sitzen im gesamten Kirchenschiff hygienegerecht verteilt die Sänger. Alle sind in ihre Noten vertieft. Auf ein Zeichen von ihm werden nun die einzelnen Stimmen der Reihe nach durchgegangen, Hofmann begleitet die jeweiligen Teile. Schließlich wird alles zu einem großen Ganzen zusammengeführt. Gloria und Kyrie steigen anfangs noch zögerlich, allmählich jedoch kräftiger zur Decke des neoromanischen Gotteshauses empor.

Im Mai 2020 sahen sich die Sänger erstmals wieder „live“. Sie waren froh, nun wieder zusammensein zu können, auch wenn sie sich zum Proben nur im Freien und mit mindestens drei Meter Abstand zueinander treffen konnten. Nun traten sie wenigstens bei Freiluftandachten wieder auf. Ein paar Sänger durften sogar wieder beim Gottesdienst in der Kirche mitwirken: „Das können nur sehr geübte Sänger, denn sie müssen auf großen Abstand im Altarraum verteilt stehen und sich trotzdem noch gut hören.“

Als im Juli vergangenen Jahres das Pfarrfest gefeiert wurde, waren viele bereits geimpft, so dass sie den Gottesdienst gemeinsam gestalten konnten. Eine kleine logistische Meisterleistung: „Ich musste meine Sänger dafür aufs gesamte Seitenschiff verteilen, damit wir die Abstände einhalten konnten“, erinnert sich Hofmann.

Proben ohne Auftritt

Nun durften sie auch wieder im Pfarrsaal üben. Dafür jedoch musste der Chor jedes Mal geteilt werden. Das bedeutete zwei jeweils vierzigminütige Proben pro Woche mit Pausen zum Lüften. Die Zweiteilung des Chors und die Abstandsregeln drückten die Stimmung unter den Sängern zunächst, doch letztlich überwog die Freude darüber, dass man überhaupt wieder gemeinsam singen durfte – besonders die älteren Sänger waren froh, wieder „mittendrin“ zu sein.

Inzwischen proben sie in St. Martin nun wöchentlich mit anderthalb Metern Abstand zueinander in der Kirche. Vor jeder Probe führt eine Rettungshelferin, die ebenfalls mitsingt, Schnelltests durch. Das heißt für die Mitglieder, dass sie deutlich früher zu erscheinen haben als vor der Pandemie.

Und trotzdem müssen immer noch kurzfristig Auftritte abgesagt werden. Zu Weihnachten etwa sollte die Nikolaimesse von Haydn aufgeführt werden, doch dazu kam es aufgrund der neuen Hygieneregeln nicht. „Es ist schon ärgerlich, wenn man für etwas probt und gar nicht weiß, ob es stattfindet“, seufzt der Chorleiter. Auch die gemeinsamen Ausflüge und die Übe-Wochenenden fehlen Sängern und Leiter.

Corona sorgt für Mitgliederschwund

Dass eineinhalb Jahre Chorarbeit in dieser Form nicht unbedingt förderlich für ehrenamtliches Musik-Engagement sind, weiß Dr. Joachim Werz. Er ist beim Allgemeinen Cäcilienverband (ACV), dem Dachverband für die katholische Kirchenmusik in Deutschland, zuständig für die Chöre in Corona-Zeiten: „Es steht und fällt ganz viel mit dem Engagement von Chorleiter und -vorstand. Mein Eindruck ist: Je mehr Möglichkeiten im Lockdown geboten wurden, den Chor zusammenzuhalten, desto gestärkter sind die Ensembles aus der Pandemie hervorgegangen.“

Gerade auf dem Land dient Corona als „Brandbeschleuniger“: Viele Chöre haben mit Überalterung zu kämpfen, neue Sänger kommen nur selten nach. Im ersten Lockdown seien gerade viele ältere Mitglieder ausgetreten, die sich schon länger mit diesem Gedanken getragen hätten, berichtet Werz.

Gerade auf dem Land hätten Chorproben vor allem einen bedeutenden sozialen Charakter. Je weniger der Kontakt untereinander im Lockdown gepflegt wurde, desto schneller seien Bindungen weggefallen, die jahrzehntelang bestanden hätten. So erkläre sich der zunehmende Mitgliederschwund vieler Kirchenchöre. Für einige Sänger hätten sich durch die Pandemie auch neue private oder berufliche Verpflichtungen ergeben, die eine Teilnahme am Chorleben erschweren oder gar unmöglich machen. Gerade kleinere Ensembles dezimieren sich dadurch noch mehr oder lösen sich in Gänze auf.

Neue Chorsänger trotz Pandemie

Ähnlich sieht es Christian Bischof: Seit 2013 ist er kirchenmusikalischer Leiter der Münchner Pfarrei St. Margaret und Präses des Münchner Diözesancäcilienverbandes. Vor Ausbruch der Pandemie bestand sein Chor aus 70 Sängern, inzwischen kommen noch 40 bis 50 regelmäßig zur Probe: „Manche wollen sich auf die Abstands- und Testregeln nicht einlassen, andere haben trotzdem noch Angst vor einer Ansteckung.“

Dennoch gäbe es auch Lichtblicke: Zwar hätten einige ältere Sänger aufgehört, „letztlich haben wir aber mehr Neuzugänge als Abgänge – und das ohne Werbung.“ Daher sei es aus seiner Sicht falsch, das Chorleben in der Pandemie auslaufen zu lassen: „Man muss das Beste daraus machen und sich an die Regeln anpassen.“

Hygienekonzept für Chöre

Als einer der ersten Verbände entwarf der ACV in enger Abstimmung mit den Bundes- und Landesministerien ein überzeugendes und anerkanntes Hygienekonzept. Man wollte von Anfang an alle Möglichkeiten ausschöpfen, um das gemeinsame Singen wieder zu ermöglichen und zugleich die Gesundheit der Sänger garantieren.

Mithilfe der ACV-Teststrategie sollen die überfüllten Testzentren entlastet und den Chormitgliedern die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst vor der Probe kostenlos zu testen: Über 300 Kirchenchöre profitierten bundesweit von der Aktion, auch der Chor in St. Martin. Eine durchaus noch steigerungsfähige Zahl angesichts der rund 860 Kirchenchöre allein im Erzbistum München und Freising.

Spaß und Gemeinschaft steht für Sänger im Vordergrund

Die Chorprobe in St. Martin ist zu Ende. Die Sänger packen ihre Noten zusammen und kommen beim Weg aus der Kirche miteinander ins Gespräch: Auch der 81-jährige Bassist Peter Klementa ist schon lange dabei. Angefangen hat er einst bei den Regensburger Domspatzen: „Wenn es mir keinen Spaß mehr machen würde, hätte ich schon längst aufgehört. Die Gemeinschaft mit den anderen Leuten hat mir sehr viel gegeben.“

Ihn freut, wie rührig Chorleiter Hofmann sich trotz der wegfallenden Auftrittsmöglichkeiten um seine Schützlinge kümmert und zumindest einer kleinen Anzahl an Sängern jeden Sonntag Auftritte im Gottesdienst ermöglicht. Neu dabei ist der 39-jährige Johannes Wegele, der erst seit Dezember mitsingt. Ihm geht es nicht um die große Kirchenmusik, sondern um die Gemeinschaft mit den anderen Sängern und die Abwechslung zum Alltag.

Kampagne gegen Überalterungsprozess

Schon jetzt denkt man beim ACV an die Zeit nach der Pandemie: Um dem Überalterungsprozess entgegenzuwirken, soll eine Kampagne entwickelt werden, die die Auswirkungen des Singens auf Körper und Geist betont und Menschen im Alter von 30 bis 60 Jahren für das Singen im Kirchenchor begeistern soll: „Kirchenchöre haben leider ein massives Imageproblem. Viele glauben, dort singen nur ältere Leute die immergleichen alten Lieder.“ Dies sei ein falsches Diktum: „Wir müssen den 30- bis 60-Jährigen aufzeigen, dass auch kirchliche Chöre qualitative und gute Alternativen zu Projektchören und weltlichen Chören sind“, sagt Werz. Schließlich hätten Chöre einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. (Maximilian Lemli, Volontär beim Michaelsbund)

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