Beten im Christentum

Vom Stoßgebet bis zur Litanei

Danken, bitten, loben, klagen - ein Gebet kann unterschiedlich gestaltet sein. Wie beten katholische Christen? Welche Formen des Gebets gibt es?

Beim Beten kommt man in Kontakt mit Gott. © ant - stock.adobe.com

Joseph Ratzinger wurde einmal gefragt, wie viele Wege es zu Gott gibt. Seine Antwort: „So viele, wie es Menschen gibt“. Diese Einschätzung passt auch zum Gebet, dem „Weg zu Gott“ schlechthin. So wie es unterschiedliche Persönlichkeiten, Erfahrungen und Lebenssituationen gibt, braucht es auch verschiedene Arten, Gott anzurufen. Welche Formen des Gebets gibt es? Und was ist bei aller Vielfalt vielleicht doch grundlegend?

Jesus lehrt das Beten

Dass Beten zum Christsein dazugehört, zeigt sich schon an Jesus selbst. Es gibt Szenen, in denen er laut betet, und solche, in denen er sich allein in die Stille mit Gott zurückzieht. Einerseits entstehen seine Gebete aus der Situation heraus, andererseits greift er auf vorformulierte Psalmen zurück. Er warnt vor falschem Beten und lehrt seine Jünger ein gemeinsames Gebet. Der Kern des Betens Jesu ist sein inniger, selbstverständlicher Umgang mit Gott. Das Gebet, das er seinen Jüngern beibringt, heißt „Vaterunser“. Jesus spricht Gott sogar mit dem Kosenamen „Abba“, „Papa“ an. Beten heißt, sich als Kind Gottes zu verstehen und so vertrauensvoll mit ihm zu sprechen wie mit einem liebenden Vater.

Psalmen sind Gebetsschatz

Jesus greift als gläubiger Jude auf den Gebetsschatz seines Volkes zurück. In existenzieller Not, in seinem Sterben am Kreuz, betet er Psalmen. Die alttestamentliche Sammlung von Liedern und Gebeten versteht sich als Antwort auf Gottes Handeln in der Geschichte. So heißt es zum Beispiel in Psalm 98: „Singt dem HERRN ein neues Lied, denn er hat wunderbare Taten vollbracht!“ Aber nicht nur Freude und Dankbarkeit, sondern auch Gefühle wie Wut und Angst finden sich in den Psalmen. Alles hat bei Gott einen Ort. Die Psalmen stellen auch einen großen Teil des Stundengebets der katholischen Kirche dar. Die vielen kleinen Gebetszeiten gliedern den Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Wer seine Gefühle in den „Kanälen“ ausdrücken kann, die die Psalmen zur Verfügung stellen, macht die Erfahrung, sie Gott übergeben und so frei werden zu können.

Gebet: Dank, Bitte, Klage, Lobpreis

Schon in den Psalmen finden sich ganz verschiedene Gebetsformen. Mit Dank, Bitte, Klage und Lobpreis lassen sich vier große Arten unterscheiden. Auch Paulus kennt eine Vielfalt an Formen, die alle ihre Berechtigung haben: „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott!“ (Phil 4,6). Wer dem Beispiel Jesu folgt und sich als geliebtes Kind Gottes versteht, wer spürt, dass sein Leben kein Zufall, sondern gewollt ist, den überkommt eine Welle der Dankbarkeit. Christen machen diese Erfahrung immer wieder neu. Gleichsam als Antwort darauf danken sie Gott. Einen Anlass dafür bietet in besonderer Weise die Feier der „Eucharistie“, wörtlich übersetzt: „Danksagung“, in deren Zentrum die Vergegenwärtigung der Lebenshingabe Jesu steht.

Gott als Grund allen Lebens anzunehmen bedeutet auch, ihm das eigene Leben anzuvertrauen. Aus der Dankbarkeit für all das, was Gott schon für Menschen getan hat, erwächst die Bitte, dass er jeden Einzelnen auch in Zukunft mit Schutz und Segen begleitet. Das Bittgebet ist zugleich die umstrittenste Gebetsform, denn Beter machen früher oder später die Erfahrung, dass nicht jede Bitte erhört wird. Es gibt viele Antwortversuche auf die Frage nach Gott und dem Leid – den Hinweis auf die Freiheit des Menschen, der sich auch für das Böse entscheiden kann, auf die Pläne Gottes, die den menschlichen Verstand übersteigen, oder darauf, dass Gott Gebete anders erhört, als ich es mir vorgestellt habe. Menschen in tiefer Traurigkeit oder nach traumatischen Erfahrungen wird es kaum überzeugen, wenn jemand ihnen eine komplizierte theologische Antwort zu geben versucht. Aber sie wissen es zu schätzen, wenn andere Menschen und Gott in dieser Situation an ihrer Seite sind, ihren Schmerz und ihr Unverständnis mit aushalten.

Oft müssen Christen erst ermutigt werden, die Gebetsform „Klage“ auszuprobieren. Gott kann man nicht nur um etwas bitten oder für etwas danken, man kann ihm auch ein lautes „Warum?“ entgegenschreien. Klage und Lobpreis sind kein Widerspruch. Gott anzuflehen bedeutet, von ihm Antworten zu erwarten und seine ganze Hoffnung auf ihn zu setzen. Wer Gott immer tiefer kennenlernt und ihn als Begleiter in guten und schwierigen Zeiten erlebt, verspürt den Wunsch, ihn zu preisen. Psalm 145 ist ein frühes Beispiel für diese Form. Im Hebräischen beginnt jeder Vers mit einem neuen Buchstaben des Alphabets. Gott soll umfassend gepriesen werden, von A bis Z. Oft spielt Musik beim lobpreisenden Gebet eine große Rolle. Lobpreis und Anbetung sind in der katholischen Kirche eng verbunden. Das Aussetzen des Allerheiligsten, also der gewandelten Hostie, kann dabei helfen, die Gegenwart Jesu wahrzunehmen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Dabei müssen nicht immer viele Worte gemacht werden – auch Schweigen oder „Sich-anschauen-Lassen“ von Jesus sind Möglichkeiten des Gebets.

Gebet als Ritual

Katholische Christen wirken manchmal so, als würden sie nur vorformulierte Gebete „herunterbeten“. Es ist eine bleibende Aufgabe, diese Worte lebendig zu halten und Herz und Mund miteinander in Einklang zu bringen. Gleichzeitig wäre es eine Überforderung, bei jeder Gebetsaussage hundertprozentig gefühlsmäßig mit einzustimmen. Gebete wie das Vaterunser oder der Rosenkranz erfüllen gerade durch ihre Form einen wichtigen Zweck. Sie sind gleichbleibende Rituale, auf die ich mich stützen kann.

Sie tragen auch dann, wenn ich gerade wenig von Gott spüre, und leihen mir Worte, wenn ich selbst sprachlos bin. Und nicht zuletzt haben sie das Potenzial, Christen miteinander zu verbinden. In ein bekanntes Gebet können alle mit einstimmen und die Erfahrung zu machen, Gemeinschaft untereinander und mit Gott zu erleben. Auch kleine Rituale wie das Gebet vor dem Essen erfüllen diese Funktion und geben der Dankbarkeit einen selbstverständlichen Platz im Familienalltag.

Selbstformulierte Gebete

Daneben gab und gibt es auch in der katholischen Kirche schon seit jeher die Tradition, frei zu beten, zu Gott in der Sprache des eigenen Herzens zu kommen. Die große spanische Mystikerin Teresa von Ávila vergleicht das Beten mit dem „Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil wir sicher sind, dass er uns liebt“. Das Gottesbild einer guten Freundin/ eines liebenden Vaters motiviert dazu, sich wirklich frei und offen mit allen Sorgen, aber auch mit allem Schönen, an Gott zu wenden.

Spontane, selbst formulierte Stoßgebete in der Not haben ebenso ihren Ort wie Litaneien während einer Wallfahrt, bei der die Teilnehmer mit dem immer gleichen Ruf (zum Beispiel „Erbarme dich unser“) auf den Vorbeter antworten und sich so verbunden wissen.

Gebet und Körper

Es gibt nicht nur die gesprochene Sprache, auch der Körper teilt etwas mit. Es fühlt sich anders an, ob ich mit krummem Rücken sitzend Gott danke oder mich dafür hinstelle und die Arme ausbreite. Beim „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ machen viele Christen auf ihrem Körper das Zeichen des Kreuzes und stellen so auf eine ganz andere Art eine Verbindung zu Jesus her. Auf einem Gebetshocker zu knien oder durch die Natur zu wandern sind unterschiedliche Gebetsformen, die beide passend sein können. In der Gemeinschaft von Taizé in Frankreich gibt es die Tradition, das auf dem Boden liegende Kreuz mit der Stirn zu berühren. Beten verändert sich, wenn man zur Sprache des Mundes die Körpersprache hinzunimmt. Zu einer ganzheitlichen, existenziellen Gebetserfahrung zählt auch das Pilgern, das nicht umsonst immer beliebter wird.

Aller Anfang ist schwer - auch beim Beten

Vielen Menschen fällt es schwer, zu beten. Manchmal steht dahinter, dass der Glaube selbst eine Hürde darstellt. Das ist nicht erst heute so. Teresa von Ávila gibt den Ratschlag: „Wenn du nicht weißt, ob es Gott gibt, dann knie jeden Abend nieder und bete fünf Minuten zu ihm. Dann wird es sich herausstellen.“ Und tatsächlich gibt es Menschen wie die moderne Mystikerin Madeleine Delbrêl, die diesem Tipp gefolgt sind und nach einer Weile die Gewissheit gespürt haben: Gott existiert. Das Gebet in der katholischen Kirche ist keine komplizierte Meditationstechnik, sondern es ist Gespräch mit Gott, der sich in Jesus ansprechbar und berührbar gemacht hat. (Theresia Kamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Pastoraltheologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Buchtipp

Jürgens, Stefan: Auf du und du

"Diese kleine Gebetsschule ist durch die Anfragen vieler Menschen entstanden, die noch nicht oder nicht mehr beten konnten, mit denen ich nach Wegen zum Gebet suchen durfte, sei es in Seminaren oder in der geistlichen Begleitung. Und sie ist entstanden durch mein eigenes Suchen und Fragen. Die Gebetsschule beansprucht keine Vollständigkeit, sie ist keine systematische Abhandlung und kein Grundkurs."

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