Ein Jahr ohne Priesterweihe

Deshalb entscheiden sich immer weniger Männer dazu Priester zu werden

Wer sich entscheidet Priester zu werden, der steht heutzutage unter hohem Rechtfertigungsdruck. Immer weniger Männer wählen für sich diesen Weg. Der Regens des Münchner Priesterseminars schaut auf die Perspektiven der Priesteramtskandidaten.

Immer weniger Männer entscheiden sich dazu, sich zum Priester weihen zu lassen. © Kiderle

"No risk, no fun" – auf diese griffige Kurzformel hat Erzbischof Reinhard Kardinal Marx bei der Diakonenweihe am Pfingstsamstag das Abenteuer gebracht, das ein Kandidat eingeht, wenn er um das Weihesakrament bittet. Derzeit ist der Fun-Faktor in der katholischen Kirche recht überschaubar, und daher verwundert es nicht, dass nur relativ wenige junge Männer den Weg zum Priestertum beginnen.

Zum ersten Mal keine Priesterweihe im Erzbistum München und Freising

In diesem Jahr werden wir in unserer Erzdiözese zum ersten Mal seit Menschengedenken keine Priesterweihe feiern können, und für die kommenden Jahre stehen zwischen null und drei Weihekandidaten je Jahrgang in Aussicht. Eine nüchterne Zeit, die da gerade heraufzieht.

Woher kommt’s? Gründe für den Mangel an geistlichen Berufungen, nicht nur für Weltpriester, sondern auch für Ordensleute, Ständige Diakone und alle pastoralen Berufe werden hin und her diskutiert. Ich für meinen Teil würde sie in „chronische“ und „akute“ Gründe einteilen; freilich lassen sich beide nicht so fein säuberlich trennen, wie man es gerne hätte.

Glaube ist zur Privatangelegenheit geworden

Als „chronischen Grund“ würde ich die Privatisierung des Glaubens bezeichnen. Hat Romano Guardini 1921 feststellen können: „Die Kirche erwacht in den Seelen“, so scheint sie mir inzwischen wieder eingeschlafen zu sein. Mit dem uneingeschränkten Siegeszug des Individuums in den vergangenen siebzig Jahren ist auch der Glaube zur Privatangelegenheit geworden. Ich bin mir sicher, dass die allermeisten Menschen etwas glauben. Aber was genau sie glauben, ist doch sehr diffus geworden; man spricht einfach nicht darüber. Sicher ist nur, dass nur noch wenige Menschen den Glauben der Kirche überhaupt darstellen können, geschweige denn, sich zu ihm bekennen.

Ihren Nachhaltigkeitstest haben die katechetischen und religionspädagogischen Konzepte der vergangenen Jahrzehnte nicht bestanden. Kern der Krise ist die Gottesfrage: Ist Gott wirklich ein Gegenüber, das ich als „Du“ ansprechen kann und das mich anspricht? In dieser Glaubensprivatisierung eint uns ökumenische Geschwisterlichkeit: Kirchenpolitische Profile haben nicht den geringsten Einfluss auf die tatsächliche Gottesbeziehung von Menschen.

Cash gegen Service

Theologie und Pastoral haben den Trend zur Privatisierung verstärkt: Vieles, was „aus pastoralen Gründen“ gut gemeint war und ist, hat eine Neigung zur Konsumhaltung bei vielen Gläubigen verstärkt. „Ich bezahle ja meine Kirchensteuer, deshalb erwarte ich mit gutem Recht, dass ich bekomme, was ich möchte. Cash gegen Service.“ Ich überzeichne hier natürlich, aber wer in einer Pfarrei aktiv ist, kennt die Logik nur allzu gut. Wo sich das Verständnis der Seelsorge vom Dienst am Sakrament und an der Kirche hin zum „Lebenshilfe-Service“ wandelt, den ich in Anspruch nehmen kann, wenn ich ihn brauche, geht das Bewusstsein für die Kirche als Volk Gottes und als Mysterium verloren.

In den Diskussionen fällt derzeit immer wieder die Formulierung des „Rechts der Gläubigen auf die Eucharistiefeier“; von einer Pflicht zur Teilnahme an ihr habe ich hingegen schon lange nichts mehr gehört. Die Kirche ist wieder eingeschlafen, und die Dokumente des Zweiten Vatikanums zu ihrem Wesen und ihrem Geheimnis schlummern mit ihr im Dornröschenschlaf. Die Soziologie scheint inzwischen die kirchliche Leitwissenschaft zu sein, nicht die Theologie. Für die Frage nach priesterlichen Berufungen bedeutet das: Eine Hingabe des eigenen Lebens – sie ist mit der Priesterweihe wesensmäßig verbunden – macht doch überhaupt keinen Sinn, wenn das Geheimnis der Kirche als des Leibes Christi als aus der Zeit gefallen gilt. Warum sollte da noch jemand Priester werden wollen?

Angehende Priester müssen sich für Entscheidung rechtfertigen

Zum „chronischen“ kommt das „akute“ Problem dazu: der sexuelle Missbrauch durch Priester, der Umgang der Verantwortlichen damit und die Konsequenzen daraus, die gegenwärtig diskutiert werden. Die Fakten sind allzu bekannt: Seitdem seit 2010 immer mehr bekannt wird, in welch entsetzlichem Ausmaß Priester sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben, und wie stümperhaft bis kriminell die Verantwortlichen in der Kirche mit den Fällen umgegangen sind und teils wohl immer noch umgehen, gelten Priester als Täter.

Schlagzeilen differenzieren nicht, und am Priesterberuf interessierte junge Männer stehen unter Rechtfertigungsdruck, ehe sie auch nur einen Fuß über die Schwelle des Seminars gesetzt haben. Mehr als einmal habe ich schon von Passanten am Gartenzaun gehört: „Ah, Priesterseminar? Hier wohnen wohl die Kinderficker.“ Die hoch emotionalisierten innerkirchlichen Debatten kommen dazu: Allein die Beratungen des Synodalen Weges zum Priesteramt zeigen, wie substanziell die Krise der Kirche in Deutschland geworden ist. Gründe, um nicht Priester zu werden, gibt es also mehr als genug – und die meisten davon sind hausgemacht.

Hohe Anforderungen an Weihekandidaten

Wohin geht’s? Das Erstaunliche ist, dass es dennoch immer wieder junge und nicht mehr so ganz junge Männer gibt, die sich auf die Priesterweihe vorbereiten. Was müssen sie mitbringen, um den immer weiter steigenden Erwartungen gerecht zu werden? In einem Vergleich formuliert: Sie müssen stehen und gehen können. Stehen bedeutet, dass Weihekandidaten sich eine gewisse Standfestigkeit im Glauben, im Leben und in der Kirche erbetet und erarbeitet haben müssen.

Das neudeutsche Wort „standing“ fasst ganz gut zusammen, was gemeint ist: Wer um die Weihe bittet, muss wissen, was er glaubt, warum er es glaubt und welche Konsequenzen dieser Glaube hat. Er muss seine Lebensperspektive für sich klar haben und sich mit zumindest moralischer Gewissheit für die Ehelosigkeit entschieden haben. Er muss theologisch fundiert und zugleich prägnant Auskunft geben können, um nicht bei jeder kritischen Nachfrage ins Stottern zu geraten. Und er muss ein Mann des Gebetes in der Kirche sein, den bei allen Veränderungen ein treues „sentire cum ecclesia“ (eine innere Übereinstimmung mit der Kirche) als Wertgrundlage trägt.

Klerikalismus als Innovation getarnt

Und: Weihekandidaten müssen gehen können. Sie müssen auf Menschen zugehen können, nicht um einen fröhlichen Stuhlkreis zu gründen, der sich um sich selbst dreht; sondern sie müssen die Menschen mitnehmen können, zur Begegnung mit Jesus Christus und zur Begegnung mit anderen Menschen in der Gemeinschaft der Kirche.

Sie müssen auch auf diejenigen zugehen können, die nicht zum „inner circle“ der Pfarrei gehören; auch auf die, die gerade die Kirche verlassen oder überhaupt distanziert sind. Glaubwürdigkeit ist kein Ergebnis von Diskussionsforen, sondern von wahrhaftiger seelsorgerlicher Begegnung.

Und: Weihekandidaten müssen lernen, wieder weiter zu gehen. Wo Pfarrer zum medial präsenten Gesicht „ihrer“ Gemeinde werden, da feiert sich der Klerikalismus als Innovation getarnt selbst. Nicht mehr Christus ist dann der Mittelpunkt, sondern der Pfarrer. Die Apostelgeschichte dagegen ist ein Buch, in dem die Akteure von der ersten bis zur letzten Seite gehen.

Deshalb: Weiter gehen lernen, um wieder neue Menschen zu gewinnen! So gehört zur Fähigkeit des „Gehens“ ein ganzes Bündel an teils hoch spezialisierten seelsorgerlichen Kompetenzen: Liturgie, Predigt, Katechese, Seelsorgegespräch und viele andere gehören dazu; viele Selbstverständlichkeiten, die von einem Seelsorger erwartet werden, brauchen eine gründliche Ausbildung, die man erst dann merkt, wenn sie fehlt.

Abenteuer Priestertum

Veränderungen wird es in unserer Kirche weiter geben, so wie sie es schon immer gegeben hat. Landauf und landab werden Glaubenszentren auf eine flächendeckende Struktur folgen, kleine Gemeinschaften werden auf eine Volkskirche folgen, eine Migrantenkirche wird auf die „Kirche der Einheimischen“ folgen – all das natürlich mit einer Menge an Schattierungen und lokalen Varianten.

Aber wie bunt, gefleckt oder scheckig die kirchliche Landkarte in einem halben Jahrhundert aussehen wird: Wer als Priester das Stehen und das Gehen gelernt hat, für den wird das Risiko des persönlichen Einsatzes zur Erfüllung eines ganzen Lebens werden. Wert ist es allemal, das Abenteuer des Priestertums anzugehen. (Wolfgang Lehner, der Autor ist Regens des Priesterseminars St. Johannes der Täufer in München)

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