Missbrauch in der Kirche

Psychotherapeut zu Gutachten: Verspätet und zu wenig persönlich

Im "Zentrum Isartal" am Kloster Schäftlarn begleitet Psychotherapeut Frank-Gerald Pajonk seit Jahren eine ganze Reihe von Missbrauchsbetroffenen. Seine Analyse der ersten Wirkung des Missbrauchsgutachtens fällt wenig positiv aus.

"Damit Betroffene mit dem Unrecht abschließen und in ihrem Leben weitergehen können, ist das Festmachen von Ereignissen an konkreten Personen sehr hilfreich." (Symbolbild) © Photographee.eu - stock.adobe.com

Auf die Frage, wie er die Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens und die ersten Wochen danach erlebt hat, richtet sich Frank-Gerald Pajonk im Bürostuhl auf und sitzt ganz gerade an seinem Schreibtisch. Damit unterstreicht er seine deutliche Antwort: „Die ersten Reaktionen von Seiten der Kirche sind aus therapeutischer Sicht nicht hilfreich gewesen.“

Der Medizinprofessor weiß, wovon er spricht. Im „Zentrum Isartal“ am Kloster Schäftlarn begleitet er seit Jahren eine ganze Reihe von Missbrauchsbetroffenen. Vor allem Männer und Frauen aus dem kirchlichen Bereich suchen den Psychotherapeuten auf, der auch geweihter Diakon ist und früher selbst Benediktinermönch war. „Die Ergebnisse des Gutachtens waren ja zu erwarten, und es hätten mehr Verantwortliche sofort zugeben müssen: Ja, ich habe einen Fehler gemacht und Schuld auf mich geladen.“

Stellungnahme Benedikts XVI.  

In Pajonks Arbeitszimmer hängt eine Fotografie von Benedikt XVI. mit persönlicher Widmung. „Ich glaube, unverdächtig zu sein, etwas gegen diesen Papst zu haben“, sagt er bestimmt, „aber er hat den Eindruck erweckt, dass er sich nicht persönlich äußerte, sondern durch ein Beratergremium eine Stellungnahme abgeben ließ.“ Dadurch entstehe das Gefühl, ein Verantwortlicher räume durch Stellvertreter gezwungenermaßen Fehler ein, schwäche sein Eingeständnis aber im gleichen Augenblick wieder ab und ziehe sich hinter juristische Formulierungen zurück. Für Missbrauchsbetroffene sei das ein schlechtes Signal.

Pajonk macht die Wirkung auf die Betroffenen an einem Alltagsbeispiel deutlich. „Stellen Sie sich vor, jemand hat vor längerer Zeit ein schweres Unrecht gegen Sie begangen und dieses unterdrückt oder vertuscht, und jetzt wird es offenbar“, erläutert der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: „Er gesteht sein Fehlverhalten aber nicht sofort ein, sondern erklärt zuerst die Umstände, rechtfertigt sich und räumt erst nach einigen Tagen seine Verantwortung ein. Wie käme das bei ihnen an? Würden Sie einer Entschuldigung Glauben schenken?“

Bei seinen Patienten kamen diese und andere erste Reaktionen jedenfalls nicht gut an: „Sie haben meistens mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass sie eine solche Enttäuschung erwartet hätten.“ Dabei sei das persönliche Bekenntnis der Verantwortlichen äußerst wichtig für die Betroffenen, um Frieden mit sich und dem Erlebten finden zu können. Denn zur Trauerarbeit über ihre Erlebnisse gehöre auch die „Klarheit über die Menschen, die als Vorgesetzte beteiligt und verantwortlich waren“. An diesen Personen könne sich eine Therapie eventuell mehr als an den Tätern orientieren.

Schuldeinsicht fehlt

Über sie wird der Professor immer wieder als Gutachter zu Rate gezogen: „Ihnen fehlt aus meiner Erfahrung fast immer jede tiefere Schuldeinsicht. Die Täter halten das Vorgefallene für nicht so schlimm, fühlen sich möglicherweise sogar selbst verführt oder beharren auf dem Einverständnis des Opfers.“ Würden sie vor Gericht verurteilt, dann sei für die Missbrauchsbetroffenen zwar die juristische Schuldfrage geklärt, aber nicht, ob der Täter oder wenigstens sein Umfeld ein Bewusstsein für die Schwere des Vergehens hat.

Es allgemein zu bedauern und das institutionelle Versagen der Kirche einzugestehen, reiche nicht aus: „Das ist nicht falsch, aber, wenn es irgendwie alle gewesen sind, ist es am Schluss keiner oder nur der uneinsichtige Täter gewesen, und damit greifen die Betroffenen wieder ins Leere“, erklärt Pajonk. „Damit Betroffene mit dem Unrecht abschließen und in ihrem Leben weitergehen können, ist das Festmachen von Ereignissen an konkreten Personen sehr hilfreich.“ Ein institutionelles Versagen geht ja immer auf Menschen zurück.

Gutachten hemmt Therapie

Das Gutachten selbst, so bedeutend es für die Aufarbeitung und Wahrheitsfindung ist, trägt zur Heilung der tiefen seelischen Verwundungen nach Pajonks Einschätzung wenig bei: „Es ist bei der Behandlung des Einzelfalles häufig gar nicht so nützlich, sondern hemmt die Therapie oft.“ Es kann Missbrauchsbetroffene erneut traumatisieren, weil es sie in die Tatsituationen und die dabei empfundene Hilflosigkeit zurückversetzt: „Das sind die belastenden Flashbacks, in denen Patienten Vergangenes nicht erinnern, sondern diesen Moment innerlich wieder neu so erleben, als passierte es jetzt. Das Gefühl, von allen verlassen zu sein, ist wieder da.“

Aus Sicht des Therapeuten wäre es für die Betroffenen wichtig „wenn ein Bischof oder anderer Verantwortlicher sagt, "ich habe ganz persönlich etwas falsch gemacht", denn so etwas haben die Patienten sonst nie von der Kirche gehört“. Dass der frühere Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter sich in diesem Sinn äußerte, sei „gut, aber eben auch verzögert gewesen“.

Immerhin offenbare es, „dass jemand die Tragweite seines früheren Handelns verstanden hat, das von ihm mitverantwortete Leid anerkennt und bei den Betroffenen vielleicht einen heilenden Moment auslöst.“ Bei diesen Worten richtet sich Professor Pajonk wieder in seinem Bürostuhl auf und sitzt ganz aufrecht.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de

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