Neustart ins Leben

Mit Ex-Häftlingen in einem Haus leben

Mitglied der Gesellschaft oder persona non grata? Der Verein Tabor unterstützt seit mehr als 25 Jahren Ex-Sträflinge nach der Haftentlassung.

Die Gründer des Vereins Tabor und die Ex-Häftlinge leben gemeinsam unter einem Dach. (Symbolbild) © Yakobchuk Olena - stock.adobe.com

Grafing – Thomas Kettler sitzt mit einer Cola am Wohnzimmertisch. Seit einem Jahr ist er draußen. Seinen echten Namen will der 48-Jährige nicht verraten, denn er saß sechzehn Jahre im Gefängnis. Drogenschmuggel. Heroin, zwei Kilo – und gleich erwischt worden. Eine Entscheidung veränderte im Jahr 2004 schlagartig sein ganzes Leben. Damals lebte er in Asien, hatte in Thailand ein eigenes Restaurant. Als der Betrieb in Finanznöte kam, suchte Kettler eine Möglichkeit schnell an Geld zu kommen und heuerte als Drogenschmuggler an. Der erste Auftrag: Als Fluggast Heroin nach Taiwan schmuggeln. „Da habe ich gedacht: Probierst das mal.“ – Doch das ging schief.

Das Leben in einem Gefängnis auf Taiwan

Noch am Flughafen flog Kettler auf und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die nächsten zwölf Jahre teilte er sich mit 20 Männern eine Zelle und ein Plumpsklo in einem Gefängnis auf Taiwan. Geschlafen wurde auf Bastmatten am Boden – pro Person nicht mal einen halben Meter breit. Die Dusche bestand lediglich aus einer Schöpfkelle kalten Wassers, mit der man ganzjährig im Hof übergossen wurde. Ein Leben in völliger Isolation. Ein Auslieferungsabkommen mit Deutschland gibt es nicht. Nur mit seinem Vater schrieb Kettler hin und wieder Briefe. „Die waren da dann immer einen Monat in die einer Richtung und einen in die andere unterwegs.“ Zusätzlich durfte er alle drei Monate für sechs Minuten telefonieren.

Perspektive für Häftlinge nach dem Gefängnis

Erst nach zwölf Jahren überstellte man Kettler nach Deutschland. Dort wurde die Strafe umgewandelt: statt lebenslänglich nur noch vier Jahre in der JVA-Landsberg. In dieser Zeit schulte der gelernte Kfz-Mechaniker um und machte eine kaufmännische Lehre. Dort hörte er auch erstmals vom „Tabor e. V.“, einem Haus für Häftlinge, die nach dem Gefängnis neu anfangen wollen. Ohne Drogen, ohne Alkohol, ohne Kriminalität. Geleitet wird die Einrichtung von Norbert Trischler. Seit 1995 leben er und seine Frau gemeinsam mit Ex-Häftlingen in einem Haus. Erst bei Dachau, ab 1999 dann auf einem Grundstück in der Nähe von Grafing.

Eigentlich ist Trischler Pastoralreferent beim Erzbistum München und Freising, seine Frau Sozialpädagogin. Geld von kirchlicher oder staatlicher Seite bekommen sie nicht. Den Verein betreibt das Ehepaar ehrenamtlich. Eine Idee, auf die die beiden durch ihre jahrzehntelange Arbeit als Gefängnisseelsorger kamen. „Wir wollten Häftlingen eine Perspektive für die Zeit nach dem Gefängnis ermöglichen und ihnen eine Heimat bieten.“

Eine Chance auf ein geregeltes Leben

Insgesamt sechzehn Menschen umfasst die Hausgemeinschaft inzwischen. Die Vorstrafen sind unterschiedlich: Von Diebstahl und Drogendelikten bis hin zum Mörder, aber auch Suchtkranke und Ex-Psychiatrie-Patienten gehören dazu. Im Haus Tabor bekommt jeder eine Chance für einen Neubeginn. „Viele kommen aus zerrütteten sozialen Verhältnissen und sind vor der Haft schon Persona non grata“, sagt Trischler. „Die brauchen keine Resozialisierung, sondern müssen oftmals überhaupt erst sozialisiert werden.“ Dabei hilft das Ehepaar – die „Hauseltern“, wie sie selbst sagen, den Bewohnern. Zum Beispiel bei Ämtergängen, bei der Alltagsbewältigung oder auch mit Geld. Aber auch von den Bewohnern wird erwartet, dass sie sich für die Hausgemeinschaft einbringen.

Thomas Kettler will diese Chance auf ein geregeltes Leben nutzen. In dem einen Jahr seit seiner Entlassung hat er mithilfe von Tabor seinen Führerschein gemacht, eine Anstellung als Ausfahrer gefunden und schaut jetzt optimistisch in die Zukunft. Vielleicht mit einer eigenen Wohnung. Aber es eilt auch nicht, denn im Haus Tabor gibt es kein Aufenthaltslimit. „Außerdem gefällt es mir hier“, sagt der 48-Jährige, „Die Leute sind sympathisch, es ist ein lockerer Umgang  – es ist einfach eine Wohngemeinschaft und jeder kann kommen, gehen, wie er will.“

Kampf gegen das Stigma der Kriminalität

Sich spontan einen Burger kaufen oder mit dem Auto seinen Vater besuchen: Diese Freiheiten weiß der Ex-Häftling zu schätzen. Aber er weiß auch, dass bei weitem nicht alle Häftlinge nach dem Gefängnis die Möglichkeiten für so einen Neustart bekommen: Vielen droht nach der Entlassung die Obdachlosigkeit. Die Quote derer, die wieder kriminell werden, ist hoch. Kettler wünscht sich deshalb, dass die Gesellschaft mehr Menschen wie ihm eine Chance gibt. „Nicht gleich abstempeln“, ist sein Appell. Stattdessen will er dazu ermutigen, mit Häftlingen ins Gespräch zu kommen und sich nicht vom Stigma der Kriminalität abschrecken zu lassen: Mauern überwinden. „Und dann sieht man vielleicht auch, dass er sich ändern will, dass er einen Neuanfang machen will, dass er sich Mühe gibt und sich engagiert.“

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