Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Immer mehr Menschen hungern

Aktuelle Konflikte und Krisen verschlechtern die weltweite Ernährungssituation. Dabei wären genug Lebensmittel vorhanden, um alle Menschen auf dieser Erde satt zu machen – zumindest nach Kalorien.

Durch den Krieg in der Ukraine wurden die Preise für Agrarprodukte in Afrika dramatisch in die Höhe getrieben – insbesondere zulasten der Ärmsten. © agarianna - stock.adobe.com

Die Welt im Jahr 2030: Kein Mensch muss mehr Hunger leiden. So lautet das zweite der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), auf die sich die Weltgemeinschaft 2015 beim Pariser Klimagipfel geeinigt hat. Doch die Erreichung des „Null Hunger“-Ziels liegt aktuell in weiter Ferne. Die Zahl der Menschen, die Hunger leiden, steigt kontinuierlich an, und in immer mehr Ländern weiten sich Hungerkrisen aus. Weltweit haben bis zu 828 Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Das ist jeder zehnte Mensch weltweit.

Herausforderung ausgewogene und gesunde Ernährung 

Der afrikanische Kontinent ist besonders gezeichnet, fast jeder fünfte Bewohner dort leidet Hunger. In Asien trifft Hunger jeden elften Menschen, in Lateinamerika jeden zwölften. Und auch dort ist die Tendenz in den vergangenen Jahren steigend. Im Vergleich dazu sind in Nordamerika und Europa jeweils nur rund zwei Prozent der Bevölkerung von Hunger betroffen. 

Dabei wären genug Lebensmittel vorhanden, um alle Menschen auf dieser Erde satt zu machen – zumindest nach Kalorien. Doch das Recht auf Nahrung beinhaltet viel mehr als den Zugang zu Nahrungskalorien: nämlich eine vielfältige und abwechslungsreiche Ernährung, die langfristig gesund erhält. Mehr als drei Milliarden Menschen weltweit haben nicht die Möglichkeit, sich ausgewogen und gesund zu ernähren.

Hunger ist ungleich verteilt

Der Blick auf die Weltkarte zeigt, dass Hunger sehr ungleich verteilt ist. Doch auch in den betroffenen Ländern selbst trifft Hunger bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders, während andere aus dem Vollen schöpfen. Auch große Agrarländer wie Brasilien, die Soja, Zuckerrohr und Mais in die Welt exportieren, haben mit Hunger zu kämpfen. Der Grund dafür ist, dass Hunger in den meisten Fällen nicht durch einen realen Mangel an Nahrung entsteht, sondern als Folge von Armut, Ausgrenzung oder Vertreibung. „Hunger hat Hautfarbe, Adresse und Bildungsgrad“, lautet ein Statement aus Brasilien. 

Ein Großteil der Menschen, die Hunger leiden, leben auf dem Land. Obwohl sie fast alle selbst Nahrung anbauen, ist ihre Ernährung nicht gesichert. Die Gründe dafür sind vielschichtig; als Kleinbäuerinnen oder Kleinbauern stehen ihnen oft nur winzige Landflächen zur Verfügung. Das, was sie dort erwirtschaften können, reicht nicht aus, um sie satt zu machen. Indigene Gemeinschaften werden, in vielen Fällen gewaltvoll, von ihrem Land vertrieben. Für Viehhalter/-innen und Hirtenvölker stehen immer weniger Weideflächen zur Verfügung, während Agrarkonzerne auf riesigen Flächen für den Export produzieren.

Stark von Hunger bedroht sind außerdem Menschen, die als Tagelöhner unter schweren Bedingungen und für ausbeuterische Löhne arbeiten. In der Stadt ist es vor allem die arme Bevölkerung, die sich nicht ausreichend Lebensmittel leisten kann und selbst keine Nahrung produziert. Insbesondere Obdachlosen fehlt es neben Nahrung auch an einem Ort, wo sie Nahrung zubereiten können. 

Mädchen und Frauen sind stärker betroffen

Bei alledem gibt es eine Gruppe, die besonders von Hunger und Ernährungsunsicherheit betroffen ist: Frauen und Mädchen. Im Jahr 2020 litten zehn Prozent mehr Frauen als Männer unter Ernährungsunsicherheit, im Jahr zuvor waren es sechs Prozent. Durch die Covid-19-Pandemie und die fortschreitende Klimakrise hat sich dieser negative Trend noch weiter verstärkt. Doch warum stehen Frauen und Mädchen besonders in Gefahr, unter Hunger und Mangelernährung zu leiden?

Viviane Mallmann, eine Bäuerin der brasilianischen Landfrauen-Bewegung „Movimento de Mulheres Camponesas“ berichtet: „Hat Hunger ein weibliches Gesicht? Ja, denn es ist vor allem die Frau, die Wunder vollbringt, um ihre Kinder zu ernähren. Sie verzichtet selbst auf Essen, damit ihre Kinder satt werden. Dass Frauen in besonderer Weise Hunger leiden, liegt vor allem an ungerechten Strukturen, die zu einem Ungleichgewicht der Geschlechter führen.

Eine Ursache von Hunger ist das kapitalistische System, das die Produktionsmittel in den Händen weniger konzentriert und ein geschwisterliches Teilen zwischen denen, die alles haben, und denen, die hungern, nicht zulässt. Eine andere ist die politische Förderung von Monokulturen wie Zuckerrohr, Soja und Mais, die die kleinbäuerliche Landwirtschaft und Produktion immer weiter verdrängt. Gerade hier arbeiten jedoch viele Frauen. Fehlende Strukturen und staatliche Programme im Bereich Gesundheit, sanitärer Grundversorgung, Erwerbsmöglichkeiten sowie ein unrealistischer Mindestlohn verschärfen die Lage vieler Frauen.“

Verschiedene Krisen und Konflikte haben die Ernährungslage in den zurückliegenden Jahren zusätzlich verschlechtert. Dazu zählt die Klimakrise, die mit zunehmenden Dürren, Starkregen und Stürmen sowie Ernteausfällen einhergeht. In einigen Regionen erwarten Experten/-innen einen Ernterückgang von mindestens 30 Prozent bis 2050. Viele Menschen spüren diese Folgen bereits jetzt: Im östlichen Afrika erlebt die Bevölkerung die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. In Indien herrschte im Frühjahr eine extreme Hitzewelle, und auch hier in Deutschland hat der März dieses Jahr alle Rekorde an Trockenheit gebrochen. Wir sind alle betroffen, allerdings trifft die Klimakrise die Ärmsten im Globalen Süden besonders hart und das, obwohl sie am wenigsten zum CO2-Ausstoß beitragen.

Covid-19 ist Hungertreiber

Außerdem ließ die Covid-19-Pandemie die Zahl der Menschen, die Hunger leiden, um weitere 160 Millionen in die Höhe schnellen. Betroffen waren insbesondere Menschen, die ihre Arbeit verloren, Wanderarbeiter/-innen, die Landesgrenzen nicht mehr überqueren durften, sowie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die ihre Ware nicht mehr auf den Markt bringen konnten – die Auswirkungen der Lockdowns haben die Ernährungssicherheit für viele Menschen deutlich verschlechtert.

Kriegerische Auseinandersetzungen sind eine der Hauptursachen für Hunger. Immer wieder werden die Erfolge jahrzehntelanger Entwicklungszusammenarbeit durch Krieg zerstört – vor allem bei der Verbesserung der Ernährungslage. Die Menschen geraten in tiefste Not, weil sie alles verlieren. Ende 2020 litten 88 Millionen Menschen Hunger aufgrund von Gewaltkonflikten. Das sind 20 Prozent mehr als 2019. Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine geraten noch mehr Menschen in Ernährungsunsicherheit. Die Ukraine und Russland sind zwei der wichtigsten Exporteure für Agrarrohstoffe wie Weizen, Mais und Sonnenblumenöl, und 44 Prozent des in Afrika verbrauchten Weizens stammen aus diesen beiden Ländern. Durch den Krieg wurden die Preise für Agrarprodukte dramatisch in die Höhe getrieben – insbesondere zulasten der Ärmsten.

Abhängigkeitskrise

Die Kosten sind nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Treibstoff und Dünger gestiegen. Diese Kostensteigerungen setzten schon vor dem Krieg ein. So verteuerte sich Mais in Burkina Faso im Februar um 30 Prozent, im Libanon verdoppelten sich die Weizenpreise zwischen Februar und März. In Ägypten wurde Brot bis zu 40 Prozent teurer. Ein Blick auf die Hintergründe zeigt: Wir befinden uns in einer Abhängigkeitskrise! Unser Ernährungssystem ist extrem abhängig von fossilen Energieträgern, und steigende Energiepreise für Öl und Gas wirken sich massiv auf die Landwirtschaft aus. So ist mineralischer Stickstoffdünger energetisch sehr aufwendig herzustellen, und dessen Produktion hängt eng mit dem Gaspreis zusammen. Dieser Dünger ist aktuell bis zu sechsmal so teuer wie noch vergangenes Jahr und verteuert damit die Produktion von Getreide und Mais deutlich. Mit gestiegenen Ölpreisen steigen auch die Preise für den Diesel für Landmaschinen, Kosten für Transport, Kühlung und Weiterverarbeitung von Lebensmitteln. Um diesen Abhängigkeiten zu entkommen, darf eine Transformation unseres Ernährungssystems nicht länger aufgeschoben werden. 

Seit über 60 Jahren unterstützt Misereor Organisationen weltweit, um Hunger zu bekämpfen. Dazu zählt in akuten Fällen die Nothilfe, um Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Dabei wird jedoch darauf geachtet, dass lokale Ernährungssysteme langfristig gefördert werden, beispielsweise indem Lebensmittel so lokal wie möglich eingekauft werden. Denn auch bei Nothilfemaßnahmen sollten Ansätze unterstützt werden, die mit der angestrebten langfristigen Entwicklung vereinbar sind. Das Hauptaugenmerk von Misereor liegt auf der Förderung von Projekten, die Hunger nachhaltig bekämpfen und Ernährungssouveränität anstreben. Dies gelingt unter anderem durch die Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der lokalen Ernährungssysteme. (Sarah Schneider, die Autorin ist Expertin für Landwirtschaft und Welternährung beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor)

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