Vom Iran nach Deutschland

Fluchterfahrung einer jungen Frau: „Ich möchte ein besseres und sicheres Leben"

Türkei, Griechenland, Deutschland - dazwischen lange Fußmärsche, gefährliche Bootsfahrten, überfüllte Camps. Asma, eine junge Afghanin teilt ihre Erinnerungen an ihre Flucht in ein besseres Leben.

Eine junge Frau spricht über ihre Fluchterfahrung. © Jonathan Stutz - stock.adobe.com

Es ist manchmal nicht leicht, über Erinnerungen zu sprechen. Sie sind meist unkonkret, verzerrt, geschönt, dramatisiert und voller Lücken. Viele Dinge lassen sich im Nachhinein nicht überprüfen, und doch eröffnet das Erlebte und Erinnern eine besondere Perspektive auf bestimmte Ereignisse. Manchmal sind Erinnerungen die einzigen Spuren, die aus der Vergangenheit übrig bleiben. So ist es auch, wenn Asma, eine junge Afghanin, von ihrer Flucht spricht.

Bruchstückhafte Erinnerungen einer Flucht

Asma hat mir von ihren Erinnerungen erzählt. Sie ist im Jahr 2015 mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Die damals 15-Jährige erinnert sich an Bruchstücke und verschiedene Details. Vieles hat sie vergessen, vieles nicht verstanden. Sie weiß nicht mehr, ob sie zehn Tage oder einen Monat in den Bergen in der Türkei war, aber sie erinnert sich, dass sie um ein Uhr nachts in ein Boot gestiegen und mittags in Griechenland angekommen sind. Sie kennt das Wort „Schlepper“ nicht, sondern spricht von Männern, denen sie Geld gegeben haben. Sie weiß, in welchen Ländern sie auf der Route waren, kennt aber keine einzige Stadt beim Namen.

Trotzdem möchte ich hier Asmas Geschichte erzählen. Ob die Fakten stimmen, kann ich nicht nachprüfen. Auch die genaue Fluchtroute kann ich nur grob nachvollziehen, da sie es selbst nicht genau weiß. Wenn ich mit ihren Eltern oder ihren Schwestern gesprochen hätte, hätten sie mir die Geschichte wahrscheinlich anders erzählt. Dies ist aber Asmas Blick auf das, was sie erlebt hat. Es sind ihre Erinnerungen, bestehend aus Fragmenten und Geschehnissen, die für sie persönlich einprägsam waren und die den Hauch einer Ahnung vermitteln, was es bedeutet, sich auf den Weg zu machen und alles hinter sich zulassen, nur mit einer diffusen Hoffnung auf ein besseres Leben.

Aus Afghanistan nahm sie ihre Muttersprache mit

Eigentlich ist Asma in Afghanistan geboren. Doch sie erinnert sich nicht an dieses Land. Sie war ungefähr sechs Jahre alt, als sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in den Iran gegangen ist. Es war wegen der Taliban – so haben es ihr ihre Eltern erzählt. Und sie seien sehr arm gewesen. „Unsere Familie hat sehr gelitten“, sagt sie. Der älteste Bruder, den sie nicht kannte, sei dort gestorben. Das einzige, was sie mitnehmen konnte, war ihre Muttersprache: Dari. Aber die Erinnerungen fehlen.

Heute weiß sie, dass ihre Kindheit schwer war. Damals hat sie es nicht verstanden. Sie lebten in der iranischen Millionenstadt Schiras. Die Eltern teilten sich mit sechs Kindern eine kleine Wohnung. Sie erinnert sich, dass es dort ein kleines, dunkles Zimmer gab und dass sie Angst hatte, darin zu schlafen. Stattdessen hat die ganze Familie in dem großen Zimmer nebeneinander auf dem Boden geschlafen. Sie erzählt: „Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater so eine Art Lieferant. Er hat einen Handwagen beladen und verschiedene Dinge zu den Läden gebracht. So etwas gibt es hier in Deutschland nicht. Aber im Iran machen diese Arbeiten Afghanen. Afghanen erledigen dort schwere Arbeiten, denn sie haben viel Kraft. Wir hatten nicht viel Geld zum Leben. Wir mussten hart arbeiten.“

Nach dem Tod des Bruders verlässt die Familie den Iran

Doch dann passierte etwas, das alles veränderte. Ihr älterer Bruder, der damals 17 oder 18 Jahre alt war, wurde krank. Mit schlimmen Bauchschmerzen mussten sie ihn in ein Krankenhaus bringen. Er starb. „Wir haben nie erfahren, was mit meinem Bruder passiert ist“, sagt Asma. Nach ihrer Aussage wollte das Krankenhaus Geld haben, was sie nicht hatten. Deshalb hätten sie ihnen nichts gesagt. „Meine Mutter hat sehr getrauert“, erinnert sie sich. „Sie ist immer gefallen und hatte keine Kraft. Ich musste ihr immer helfen, nach Hause zu kommen. Sie hat so viel geweint, dass ihre Augen weiß geworden sind. Der Entschluss, das Land zu verlassen, entstand aus dieser aussichtslosen Situation, in der sie lebten. Eines Tages sei Asmas Mutter früh aufgestanden und habe gesagt: „Wir gehen einfach.“ Und sie sind gegangen, nur ihre ältere Schwester blieb und heiratete im Iran. Ihre Eltern und ihre drei jüngeren Schwestern machten sich auf nach Teheran.

Mutter organisierte Flucht durch die Türkei

Asmas Erinnerungen sind hier lückenhaft. Sie weiß, dass ihre Eltern in Afghanistan ein Haus verkauft haben und Schulden bei Verwandten gemacht haben, um das nötige Geld für die Flucht zusammenzubekommen. Sie erinnert sich an einen Mann, der mit dem Geld einfach weggelaufen ist, und an einen anderen, der Mitleid hatte und ihnen geholfen hat. Sie weiß, dass ihre Mutter alles organisiert hat und die Familie beisammenhielt. Sie saßen zusammengequetscht in einem Auto von Teheran bis zur Grenze. Und dann waren da die Berge in der Türkei. Sie erinnert sich an steile Abhänge, von denen sie beinahe hinabgestürzt wären. Ihre Schwestern waren noch klein und gingen am hinteren Ende der Menschengruppe. Ihre Mutter gab Acht, dass sie nicht verloren gingen. Asma sagt: „Der Mann hat meine Mutter geschlagen und geschrien: ‚Schneller! Schneller!‘ Mich hat er auch einmal geschlagen. Aber ich konnte alleine gehen.“ Und dann gab es noch das Wasser. Was es für ein Wasser war, kann sie nicht sagen. Sie erinnert sich, dass ihre kleine Schwester hineingefallen war und dass der Mann sie dort ertrinken lassen wollte. „Meine Mutter wollte sich dann selbst ins Wasser schmeißen“, erzählt sie. „Sie hat gesagt: ‚Wenn, dann sterben wir beide! Und wenn wir zurückkehren müssen, dann alle zusammen!‘ Sie wollte nicht, dass wir getrennt werden.“ Nach Asmas Einschätzung waren sie zwischen zehn Tagen und einem Monat in der Türkei. Und irgendwann kamen sie ans Meer.

Mit einem Boot nach Griechenland

„Wir waren von ein Uhr nachts bis 11 Uhr im Wasser. Um 12 Uhr waren wir in Griechenland“, erzählt sie. In ihrer Erzählung war das Boot aus Plastik. Eins sei untergegangen, doch sie konnten auf ein anderes gelangen. Ihre Erinnerungen sind an dieser Stelle bruchstückhaft. „Meine kleine Schwester hatte keine Schwimmweste“, sagt sie. Ihre Mutter habe ihr T-Shirt kaputtgemacht, damit sie sich festhalten könne. Auch die Ankunft in Griechenland war chaotisch. Sie spricht vom „Viktoria-Park“ und meint wahrscheinlich den Viktoriaplatz in Athen, eine Anlaufstelle für Geflüchtete. Sie erinnert sich an viele Menschen, an Sprachen, die sie nicht verstand, und an eine Person, die ihr eine Banane gegeben hat. Es folgten überfüllte Züge, Fußmärsche und schlaflose Tage und Nächte.

In Deutschland kam Asma nicht zur Ruhe

Irgendwann waren sie da. In München. „Wir mussten einige Tage warten und wurden kontrolliert“, erzählt sie. „Wir mussten uns ausziehen. Sie haben geschaut, ob wir Waffen dabeihaben. Sie haben aufgeschrieben, wie viel Geld wir haben. Ich habe viel vergessen, was passiert ist.“ Sie erinnert sich, dass ihre Köpfe mit Spray eingesprüht wurden – wegen der Läuse. „Aber wir hatten gar keine Läuse“, sagt sie. Sie lebten in unterschiedlichen Camps. Es gab einmal Eier zu essen, was sie nicht gewöhnt waren, doch die Mutter zwang sie, alles zu essen. Es gab viele afrikanische Menschen und sie hatten Angst, weil sie in ihrem Leben noch nie schwarze Menschen gesehen hatten. Und sie schliefen in Etagenbetten, von dem ihre Schwester hinunterfiel. Die Polizei ist gekommen und habe sie festgehalten. Eine Bewohnerin habe sie grundlos geschlagen. Asmas Schwester musste einmal ins Krankenhaus, wo sie sich nicht verständigen konnte. An diese Zeit reihen sich verschiedene Erlebnisse aneinander. Anekdoten von einer Zeit, in der sie keine Ruhe finden konnten.

Enger Zusammenhalt in der Familie

Seit ungefähr drei Jahren lebt die Familie nun in einer Unterkunft, in der sie die Tür zu ihrem Wohnbereich abschließen können. Sie dürfen in Deutschland bleiben, doch die Suche nach einer eigenen Wohnung ist nicht leicht. Asma meint, dass sie kaum darüber sprechen, was passiert ist. Ihre Mutter würde sonst weinen. Ihr Vater spricht kaum. Und ihre Schwestern scheinen sich kaum noch an die Flucht zu erinnern. Asma denkt ans Jetzt. Sie ist jetzt 22 Jahre alt, hat Deutsch gelernt und macht ihren Quali. Sie dolmetscht für ihre Eltern, die noch kaum Deutsch sprechen. Sie kümmert sich, liest die Post. Den Rest macht die Mutter: einkaufen, kochen, waschen. Asmas Alltagsleben wird durch den engen Familienverband geprägt. „Wir streiten viel, aber wir lachen auch viel“, sagt sie. Was wünscht sie sich? „Ich möchte ein besseres und sicheres Leben. Ich möchte keine Angst haben, dass mich jemand erschießt oder dass eine Bombe unter meinen Füßen explodiert.“ Sie möchte eine Ausbildung finden und sich ein Motorrad kaufen. „Ich möchte ein bisschen frei sein“, sagt sie. (Eileen Kelpe, Volontärin beim Michaelsbund)

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