Extreme der Urkräfte

Die sieben Todsünden

Hochmut, Gier, Völlerei, Faulheit, Neid, Zorn, Wollust - es lohnt sich, das eigene Leben im Licht dieser sieben Urkräfte zu betrachten. Pastoralreferentin Susanne Deininger stellt ihnen jeweils eine positive Kraft gegenüber.

Was bedeuten die sieben Todsünden für unser Leben heute? © olly - stock.adobe.com

Die sieben Todsünden als Lebensbetrachtung in der Fastenzeit – ist das eine zeitgemäße Idee? Ist dieses Denkmodell nicht viel zu mittelalterlich schwarzweiß und damit ungeeignet für eine moderne ethische Reflexion unseres Handelns?

Übrigens: „Todsünde“ ist hier eigentlich das theologisch falsche Wort, auch wenn es sich eingebürgert hat. Ich möchte hier lieber von „Urkräften“ sprechen. Denn wenn wir genau hinschauen auf diese machtvollen und immer noch wirksamen Kräfte, dann entdecken wir: Diese Wörter beschreiben nur das negative Extrem neutraler und wertfreier starker Kräfte, die am anderen Ende der Skala je eine ebenso starke gute Seite haben, die heilvoll, sogar lebensnotwendig ist. Die Frage ist: Wo befinde ich mich zwischen den beiden Extremen dieser Urkräfte? Wo ordne ich mein Verhalten, meinen Lebensstil ein?

Selbstbewusstsein oder Hochmut?

Ein gesundes Selbstbewusstsein ist etwas sehr Lebensförderliches. Mir bewusst zu sein, dass ich etwas kann, dass ich wertvoll bin, ja auch, mich selbst schön zu finden, ist wichtig und gesund. Dazu gehört aber auch, mir bewusst zu sein, wo meine Grenzen sind. Und dazu gehört, andere anzuerkennen, ihre Fähigkeiten und ihre ganz eigene Schönheit zu sehen und wertzuschätzen.

Erst wenn ich diese Aspekte außer Acht lasse – meine Grenzen nicht mehr sehe und den anderen aus dem Blick verliere –, bin ich in Gefahr, dass diese Urkraft aus dem Lot gerät und ich mich selbst absolut setze. Denn dann wird aus dem Guten zu viel, werden aus Selbstbewusstsein narzisstische Selbstfixierung und Eitelkeit, Selbstüberschätzung, falscher Stolz, Überheblichkeit und Machbarkeitswahn. Hochmut ist besonders auffällig und unheilvoll bei den Mächtigen dieser Welt, die die Möglichkeiten haben, Kriege anzuzetteln und die Welt zu verändern. Aber wie so oft beginnt auch der Hochmut im Kleinen, auch bei mir selbst.

Achten Sie heute einmal bei allen Begegnungen darauf, wie Sie Menschen betrachten: Sehe ich eher auf andere herab? Oder bin ich eher so, dass ich automatisch zu anderen aufschaue? Die beste und reifste Haltung wäre, allen auf Augenhöhe zu begegnen, also ihren und meinen Wert zu sehen. Aber gelingt mir das immer? Versuchen Sie deshalb mal ganz bewusst, an allen Menschen (auch an sich selbst!) etwas Bewundernswertes und Schönes zu entdecken!

Selbstsorge oder Gier?

Es ist vernünftig und richtig, wenn ich für mich und meine Lebenssicherheit selbst Sorge trage, wenn ich mein eigenes Auskommen und das meiner Familie sichere, eine Altersvorsorge treffe und für die Zukunft meiner Kinder einen guten Start lege. Dazu braucht es Geld und Besitz. Aber wann ist genug genug? Wann wird aus Lebenssicherung Besitzgier?

Die Weltwirtschaft funktioniert nach dem Gier-Prinzip des immerwährenden Wachstums und wir sehen bereits nachhaltig schädliche Folgen für die gesamte Welt. Unser Reichtum beruht auf der Armut ganzer Länder und auf der Ungerechtigkeit des Systems. Wir können uns diesem Netzwerk nicht so einfach entziehen. Aber wir können uns selbst gewisse Grenzen setzen und uns entscheiden, wann es für uns genug ist. Das Ziel wäre eine vernünftige, ausgewogene Bescheidenheit. Denn Besitz ist nicht der einzige Reichtum in unserem Leben und Geld ist nur ein Werkzeug, nicht das Ziel.

Übung für einen Perspektivwechsel: Erstellen Sie doch einmal eine Liste mit zehn Dingen, die Sie wirklich von innen her reich machen! – Und Geld darf nicht draufstehen.

Genuss oder Völlerei?

Seien wir mal ehrlich: Wir leben in einer Gesellschaft der Völlerei. Unsere Supermärkte, Kaufhäuser und Internet-Plattformen sind übervoll mit Waren, die wir im Grunde nicht wirklich in dieser Vielfalt brauchen, die oft ungesund oder schädlich für die Umwelt und die Weltgerechtigkeit sind. Dieses Angebot verführt und hat uns längst an ein „Zuviel“ gewöhnt.

Da ist es schwer, das richtige Maß zu finden. Wir kaufen, essen, verbrauchen, werfen weg – alles in Überfülle. (Übrigens: Man kann auch mit gesunden Dingen Völlerei betreiben, zum Beispiel besessen sein von gesunder Ernährung oder Fitness.) Aber auch diese Urkraft hat eine heilvolle Seite: den Genuss! Bewusstes Genießen von etwas Gutem ist etwas völlig anderes, als sich vollzustopfen. Wer genießen kann, braucht weniger und hat mehr davon!

Deshalb lade ich Sie zu folgender Übung ein: 1. Verzichten Sie heute ganz bewusst auf eine Sache: Kaufen, essen oder trinken Sie heute etwas bewusst nicht, wovon es in Ihrem Leben weniger geben sollte. 2. Genießen Sie heute etwas ganz bewusst! Gönnen Sie sich eine besondere Sache – nicht viel davon, aber etwas, das Sie besonders gerne mögen. Nehmen Sie sich bewusst Zeit dafür und lassen Sie sich ganz auf diesen Genuss ein!

Entspannung oder Faulheit?

Immer fleißig, nie untätig – das ist eine alte Tugend. Produktiv und arbeitsam sein ist im Berufsleben ein hohes Gut. Faulheit geht gar nicht! – Oder doch? Längst haben sogar die Arbeitgeber erkannt, dass es Zeiten der Ruhe und Entspannung braucht. Der Workaholic ist nicht mehr das Idealbild der Zeit. Und doch fällt es vielen Menschen unendlich schwer, wirklich zur Ruhe zu kommen und zu entspannen, sodass neue Kräfte wachsen können.

Wir brauchen eine gesunde Faulheit ab und zu. Schwierig wird es dann, wenn ich meinen Hintern gar nicht mehr hochbekomme. Wenn aus entspannter Faulheit gewohnheitsmäßige Trägheit wird; wenn ich genau weiß, dass etwas getan werden müsste, mir aber meine eigene Bequemlichkeit wichtiger ist. Wenn ich Not sehe, die ich lindern könnte, mich aber blind stelle und mit einem „Was kann ich schon tun?“ abwinke. Diese Art Faulheit ist pure Passivität mit einer guten Portion Egoismus, Ignoranz und jeder Menge Ausreden.

Fragen Sie sich doch mal: Was wollte ich schon lange anpacken, endlich angehen, verändern? Und beginnen Sie heute mit einer Sache! Es muss nicht gleich weltverändernd sein. Es muss heute nicht fertig werden. Nur beginnen ist schon ein Erfolg! Man sagt übrigens, dass man Veränderungen dauerhaft im Leben verankern kann, wenn man drei Wochen durchhält. Probieren Sie doch mal aus, ob das stimmt!

Die Autorin Susanne Deininger hat eine Ausstellung zum Thema "Kräfte, die die Welt bewegen" konzipiert, die von Montag bis Freitag im Bildungszentrum St. Nikolas in Rosenheim (Pettenkofer Straße 5) von 8 bis 16 Uhr besichtigt werden kann.

Gerechter Zorn oder unkontrollierte Wut?

Unkontrollierter Zorn ist zerstörerisch: Von Hassrede über häusliche Gewalt bis Totschlag im Affekt ist mit dieser Urkraft alles möglich. Kalt genossen und in sich hineingefressen wird Rachsucht daraus, die wie ein schwelender Moorbrand das Leben vergiftet.

Doch Zorn hat auch einen heilvollen Aspekt: Es gibt den gerechten Zorn, den wir empfinden, wenn wir Ungerechtigkeit sehen; wenn wir zuschauen müssen, wie ein hochmütiger Machtmensch einen Krieg beginnt, der uns alle angeht zum Beispiel; oder wenn uns bewusst wird, wie viele Menschen auf der Erde täglich verhungern, während sich andere bereichern. Diese Art Zorn bringt uns nämlich in Aktion. Er will etwas zum Besseren verändern.

Der Unterschied zwischen beiden: Der gerechte Zorn schaltet das Hirn ein. Er aktiviert, aber nicht ohne Kontrolle und Vernunft. So wird er zur Tatkraft, die Veränderung ermöglicht, aber keinen Schaden anrichtet. Leider ist er manchmal auch ohnmächtiger Zorn, wenn wir keine Veränderungsmacht besitzen.

Fragen Sie sich deshalb: Was macht mich wirklich wütend? Kann ich diesen Zorn in Handlung umsetzen, die gute Veränderung bringt? Wenn nicht, nehmen Sie Ihren Zorn mit ins Gebet! Und zwar nicht brav in schöne Worte verpackt, sondern ruhig laut, heiß, wütend. Schreien Sie Ihren Zorn Gott ruhig entgegen! Er hält ihn aus. Er ist auch dann für uns da, wenn wir wütend sind.

Förderliche Konkurrenz oder Neid?

Konkurrenz belebt das Geschäft. Das Sprichwort stimmt: Wir Menschen vergleichen uns immer miteinander, denn so lernen wir und wachsen aneinander. Wir sehen, was andere können oder haben und wollen es auch können und haben. Das motiviert zum Lernen, das gibt uns Ziele, auf die wir hinarbeiten wollen. Und wenn ich beim Vergleichen etwas sehe, das ich nie erreichen kann, weil mir Talent oder Möglichkeit fehlen? Dann gibt es zwei Wege: Ich kann den anderen dafür bewundern oder beneiden. Bewunderung lässt dem anderen den Wert und die Gabe. Im besten Fall kann ich daneben meine eigenen Gaben sehen und zufrieden sein.

Gefährlich wird es, wenn ich das Gefühl habe, beim Vergleich zu kurz zu kommen und deshalb dem anderen nicht gönne, was er hat. Missgunst und Neid sagen: Wenn ich es nicht habe, nicht kann, nicht bin, soll es auch niemand anders! Durch diese Missgunst aber wird die Welt ärmer statt reicher. Um aus dieser Falle herauszukommen, muss ich mich auf meinen eigenen Wert besinnen, denn Neid hat etwas mit dem Mangel an Selbstwert und Anerkennung zu tun.

Wir alle haben unsere Lebensthemen, bei denen wir neid-gefährdet sind. Sie werden sie kennen, denn sie tauchen immer wieder auf. Neid bohrt immer wieder in dieselben Wunden. Schreiben Sie sie auf einen Zettel! – Und dann zerreißen oder verbrennen sie ihn mit einem Gebet, um alles Schädliche loszulassen!

Sinnlichkeit oder Wollust?

Karl Rahner hat einmal geschrieben: „Wir haben nicht nur Sinnesorgane, wir sind vielmehr Sinnlichkeit.“ Wir Menschen sind als Sinnenwesen geschaffen. Durch unsere Sinne erfahren wir die Welt und einander. Sexualität ist ein wichtiger Teil davon. Sex ist etwas Gutes und Schönes, bereichert unser Leben und bestimmt unsere Beziehungen nachhaltig. Aber wir müssen immer wieder erfahren, dass Sexualität eine machtvolle Urkraft ist, die sehr unheilvoll aus dem Ruder laufen kann: Die Missbrauchsfälle in unserer Kirche und anderswo, die #metoo-Debatte und vieles mehr zeigen uns das schmerzlich.

Aus unserer Sinnlichkeit und Sexualität kann Ausschweifung, triebgesteuertes Handeln, Missbrauch und Erlebnissucht werden. Ja, auch die Suche nach dem ultimativen Adrenalin-Kick kann „Wollust“ sein. Umso wichtiger ist es, das Lebensförderliche dieser Urkraft bewusst in den Mittelpunkt zu stellen, sie als Geschenk und Segen zu begreifen und nicht zu verdrängen oder zu marginalisieren. Denn sie wirkt immer – und im „Untergrund“ meistens eher unheilvoll.

Fangen wir deshalb ganz am Anfang an: Seien Sie heute einmal ganz bewusst ein Sinnenwesen, und fühlen Sie sich dadurch von Gott beschenkt! Schauen Sie! Hören Sie! Musik, Vögel, den Wind, die Stimmen … Riechen Sie! Schmecken Sie! Und fühlen Sie! Streicheln Sie ein Tier! Berühren Sie zärtlich Ihre Lieben! Gehen Sie barfuß, über den Teppich, über das Gras …

Die eigene Skala zwischen heilvollem und unheilvollem Extrem

Unser Leben im Licht dieser sieben Urkräfte zu betrachten, heißt, persönlich zu reflektieren, wo ich jeweils stehe und lebe auf der Skala zwischen heilvollem und unheilvollem Extrem. Vielleicht auch, den „Regler“ etwas zu verschieben zur heilvollen Seite hin, wenn es nötig ist. Bei all dem geht es um ein inneres Gleichgewicht, meine Dynamik der Kräfte, das richtige Maß. Und dieses entsteht nur, wenn ich meine Grenzen erkenne und meinen Nächsten nicht aus den Augen verliere. Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit für diese Betrachtung. (Susanne Deininger, Pastoralreferentin im Pfarrverband Dachau-St. Jakob und theologische Mitarbeiterin im Dachauer Forum)

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