200-Jahre-Jubiläum

Das Erzbistum München und Freising hat Geburtstag

1821 wurde das Erzbistum gegründet. Was vor 200 Jahren geschah, warum es heute lohnt, sich damit zu befassen und was man daraus für die Zukunft lernen kann, beschreibt der Kirchenhistoriker Roland Götz.

Historischer Stich des Freisinger Dombergs aus der Zeit der Bistumsgründung 1821 © Archiv EOM

Zwei wichtige Ereignisse treffen in unserem Erzbistum heuer zusammen: Der von Erzbischof Kardinal Reinhard Marx angestoßene Strategieprozess tritt in seine entscheidende Phase. Und das Erzbistum, so wie wir es heute kennen, wird 200 Jahre alt.

Beim ersten geht es darum, sich „vor dem Hintergrund der ständig fortschreitenden Transformation gesellschaftlicher Zusammenhänge“ den Veränderungen zu stellen und das Wirken der Kirche neu und zukunftsfähig auszurichten. Zum anderen bietet der runde Geburtstag nicht nur Gelegenheit, auf einen epochalen Einschnitt in der bayerischen Kirchengeschichte zurückzublicken, sondern auch über die Entwicklung der Kirche in diesen 200 Jahren und darüber hinaus nachzudenken.

Neujustierung nach Säkularisation

„Erst 200 Jahre?“, mögen manche fragen. Freilich: Wir verehren den heiligen Korbinian als Gründergestalt, und die Vorbereitungen zum 1.300- Jahr-Jubiläum seiner Ankunft in Freising 2024 haben schon begonnen. Jedoch: Das heutige (Erz-)Bistum ist nicht mehr einfach das, an dessen Anfängen der fränkische Wanderbischof stand und das 739 offiziell errichtet wurde. Die alte bayerische Kirchenordnung ist in der Säkularisation von 1802/03 untergegangen. Die bisherigen Fürstbischöfe verloren ihre weltliche Herrschaft. Das Freisinger Territorium wurde dem Kurfürsten von Bayern zugeschlagen. Alle Klöster und Stifte in Bayern wurden aufgelöst.

Als Freisings letzter Fürstbischof Joseph Konrad von Schroffenberg am 4. April 1803 starb, blieb der Stuhl des heiligen Korbinian leer – 18 Jahre lang. 14 davon brauchte es, bis sich der nunmehrige König von Bayern und der Heilige Stuhl auf ein Konkordat zur Neujustierung des Staat-Kirche-Verhältnisses in Bayern geeinigt hatten, vier weitere, bis es wirklich umgesetzt wurde. Im Herbst 1821 ist es endlich so weit: Am 23. September verkündet der päpstliche Nuntius in der Münchner Frauenkirche feierlich die neue Gestalt der bayerischen Kirche. Acht Diözesen gibt es nunmehr im Königreich. Ihre Außengrenzen decken sich mit denen des Staatsgebiets.

Veränderungen für Freising

Für das alte Bistum Freising ergeben sich besonders einschneidende Veränderungen: Der Bischofssitz wird in die Landeshauptstadt verlegt und zum Erzbistum München und Freising erhoben. Der Diözesansprengel ist wesentlich vergrößert um Gebiete, die bisher zum Erzbistum Salzburg (beziehungsweise dem daraus hervorgegangenen Bistum Chiemsee oder der Fürstpropstei Berchtesgaden) gehörten. Dem Münchner Erzbischof sind als Suffragane die Bischöfe von Augsburg, Passau und Regensburg zugeordnet, während für die anderen bayerischen Bistümer der Erzbischof von Bamberg zuständig ist. Als Abschluss der Neukonstituierung kann am 5. November 1821 der frühere Würzburger Domdekan Lothar Anselm von Gebsattel als erster, konkordatsgemäß vom König ernannter Erzbischof von München und Freising ins Amt eingeführt werden.

Die Neuordnung im Großen hatte an verschiedenen Orten des Erzbistums tiefgreifende konkrete Auswirkungen: Die alte Bischofsstadt Freising verlor ihre bisherige Rolle als Regierungssitz eines selbstständigen Staatswesens und als Sitz der Diözesanleitung. Im 19. Jahrhundert erhielt sie – neben der bleibenden Bedeutung als Traditionsort mit dem Grab des Bistumspatrons – eine neue Rolle als Sitz der Priesterausbildung und ab den 1960er Jahren als Ort der kirchlichen Bildungsarbeit. Die derzeitige Neugestaltung des Dombergs wird die Position Freisings im Erzbistum wiederum neu definieren.

Neuer Diözesanpatron

München wurde neu Bischofsstadt. Damit hatte erstmals in der Diözesangeschichte der Bischof seinen Sitz in einer Großstadt, in der Hauptstadt Bayerns und in einer Universitätsstadt. Erforderlich waren hier ein „neuer“ Dom, zu dem man die bisherige Pfarrkirche Zu Unserer Lieben Frau machte, und eine neue Unterbringung von Erzbischof und Diözesanverwaltung. Auch das Metropolitankapitel und das Ordinariat in München werden somit heuer 200 Jahre alt.

Für rund ein Drittel der „Erzdiözesanen“ wechselte der zuständige Oberhirte. Mehr als ein Jahrtausend waren sie dem Erzbischof von Salzburg unterstanden und hatten den heiligen Rupert, nicht Korbinian, als Diözesanpatron verehrt. Die neue Bistumsgrenze entlang von Salzach und Saalach teilte gar die Pfarreien Laufen, Schellenberg und Gmain. Man versteht daher, dass im Chiemgau, im Rupertiwinkel, im Berchtesgadener Land und andernorts bis heute eine eigengeprägte Tradition gepflegt wird.

Die Neuordnung von 1821 begründete aber nicht nur Verwaltungsstrukturen, die zum großen Teil bis heute bestehen. Dieser Umbruch bildete auch den Auftakt zu einer neuen Epoche der Bistumsgeschichte, in der sich die Kirche und ihr Umfeld stärker verändert haben als in Jahrhunderten zuvor. Und bei allem Respekt vor dem Freisinger Jahrtausend: Es ist diese Epoche, die uns heute noch betrifft. Denn sie nähert sich in der Gegenwart wohl ihrem Ende, und es stellen sich die Fragen, was sich heute verändern muss und wie es weitergehen kann.

Wandel der Zeiten

Nur einige Punkte seien genannt: Die Pfarrstruktur und die Tätigkeitsfelder der Kirche haben sich im 19. und 20. Jahrhundert stark ausgeweitet. Zahlreiche kirchliche Sozial- und Bildungseinrichtungen wurden gegründet. Die Gegenwart ist dagegen von der Zusammenlegung von Seelsorgeeinheiten, vom immer stärkeren Mangel an Seelsorgern und hohen Austrittszahlen geprägt. Wie können künftige Pastoralstrukturen aussehen? Und wie sollen die vielen neu gebauten Kirchen erhalten und genutzt werden?

Um 1830 begannen die Wiedergründung alter Klöster und die Entstehung neuer Orden, die gerade im Bildungs- und Sozialbereich lange von größter Bedeutung waren. Heute werden zahlreiche Ordensniederlassungen aufgelöst, und es ist zu überlegen, wie deren Anliegen in anderer Trägerschaft weitergeführt werden können. Die Vielzahl kirchlicher Vereine und Verbände waren einmal neue Formen für die Tätigkeit von Laien. Weitere sind mittlerweile mit den Räten auf den verschiedenen Ebenen hinzugekommen. Wie soll sich künftig das Zusammenwirken von Amtsträgern und Laien gestalten?

Die Kirche in unserem Land war in den vergangenen zwei Jahrhunderten wiederholt mit einem tiefgreifenden Wandel der politische Systeme (von der Monarchie über Revolution, Weimarer Republik, NS-Diktatur bis zur Bundesrepublik) und mit einschneidenden historischen Ereignissen (wie Erstem und Zweitem Weltkrieg, Flucht und Vertreibung) konfrontiert. Wie ist das frühere Verhalten der Kirche zu bewerten, und wie politisch darf oder muss die Kirche heute sein? Ist das vor 200 Jahren grundgelegte Verhältnis von Staat und Kirche (etwa was die Staatsleistungen an die Kirche betrifft) noch zeitgemäß? Die Gesellschaft wandelte sich von der einheitlich katholischen zur gemischtkonfessionellen und weiter zur multireligiösen und weltanschaulich pluralen. Wo ist hier der Platz der Kirche?

Rezept für die Zukunft

Schließlich: Dem Erzbistum wuchs eine immer größere weltkirchliche Rolle zu. Genannt seien nur die Münchner Kardinäle, die internationalen Partnerschaften, die Missions- und Entwicklungsarbeit. Kirche in Bayern ist heute nicht mehr ohne globale Verflechtung und Verantwortung zu denken.

In vielen Punkten ist die Kirche, wie sie sich heute darstellt, nur erklärbar aus den Ereignissen vor 200 Jahren und der seitherigen Entwicklung. Die Vergangenheit kann eine Vergleichsfolie zu heute bieten und zugleich als Ausgangspunkt für Überlegungen dienen, was und wie Kirche künftig sein soll. Dabei spricht der Umstand, dass eine Struktur oder eine Einrichtung entweder seit Jahrhunderten besteht oder sich erst in jüngerer Zeit entwickelt hat, an sich weder für noch gegen ihre Zukunftsfähigkeit.Wie zumeist liefert die Geschichte kein Rezept für die Zukunft. Denn die Zukunft ist heute ebenso offen und unabsehbar, wie sie es für unsere Vorfahren vor 200 Jahren war. Doch wenn man sieht, dass bestimmte Formen kirchlichen Wirkens nicht so alt und „alternativlos“ sind wie vermutet, sondern unter konkreten Umständen entstanden sind, wächst vielleicht die Bereitschaft, unter gewandelten Umständen über Veränderungen nachzudenken. So wäre das Jubiläum auch aus aktuellem Anlass eine gute Gelegenheit, sich mit dieser jüngsten Epoche der Bistumsgeschichte zu befassen. (Roland Götz, Kirchenhistoriker und stellvertretender Direktor von Archiv und Bibliothek des Erzbistums)

Podcast-Tipp

12 Momente aus 200 Jahren

Dieser Podcast erzählt 2021 monatlich von Menschen, Orten und Dingen aus der Geschichte des Erzbistums München und Freising, das 1821 errichtet wurde. Damit kamen Veränderungen, die noch heute nachwirken.

Im Münchner Dom erinnert heute noch eine Marmortafel mit goldenem Schriftzug an die Neuordnung der bayerischen Bistümer. 1821 wurde sie vollzogen. Nirgendwo führte sie zu so umwälzenden Veränderungen wie in Oberbayern, die heute noch fortwirken. Ein Podcast über Zollschranken gleich hinter der Münchner Stadtgrenze, der Suche nach einer neuen Kathedrale, starke Katholikinnen und Bauboom in den 1950er Jahren.

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